
Der Schreck vor der Kur
Sechs Tage vor der Kur, auf die ich über ein halbes Jahr gewartet habe, sah ich so aus. Mir wurde mitgeteilt, dass ich keinen Kurplatz bekomme. Weil die Krankenkasse nicht rechtzeitig Dokumente eingereicht hat, wurde mir das nicht zum Ablauf der Frist mitgeteilt, sondern sechs Tage vorher. Bis wir darauf kamen, wieso unser beider Ansichten der Situation so unterschiedlich waren, verging eine Weile. Während ich Abwesenheit von der Arbeit, Urlaub und Kita-Wechsel um die Kur gebastelt hatte, hätte ich lieber der Krankenkasse, die die Kur genehmigt hatte, auf die Finger schauen sollen. Ich hatte mich gewundert, warum ich keine Unterlagen zur Kur erhielt und fragte nach, darauf kam die Absage. Mir wurde davor keine Frist genannt, jeder der mich kennt weiß, dass ich top organisiert bin. Ich führte Telefonate, erklärte, dass ich an dieser Situation keine Schuld trug, alles drumherum gebastelt hatte auch mit meiner Tochter und das ein übles Hin und Her wäre mit Schaden an unserer Situation und ich die Kur jetzt wirklich nötig hatte. Aber ich war abhängig vom „good will“ anderer Menschen in einer Situation, die ich nicht herbeigeführt hatte. Weil ich mich nicht penetrant dahinter geklemmt hatte, was aber nicht mein Job war, denn was zum Teufel soll ich noch alles bedenken? Also frag mich noch mal, wie gut ich darin bin, krank zu sein und die ganze Scheiße am Laufen zu halten? Etwas, worauf ich nun lange gewartet habe, brach hier zusammen. Wie viel Luftpolsterfolie soll ich noch um mich herum packen, um nicht Schaden zu nehmen von solchen Wänden, gegen die ich ständig renne? Ich leide sehr an diesem Tag – durch Angst und an Hilflosigkeit. „Mama, warum hast du Tränen“ fragt mich meine Kleine und ich kann ihr all das gar nicht in altersgerechte Happen verpacken. Nach Stunden werde ich erlöst, wir dürfen kommen. Mein Schmerz täte ihnen leid.

Warum hab ich das überhaupt gewollt?
Weil ich mich im Hamsterrad befinde seit der Geburt meiner Tochter. Probleme stapeln sich aufeinander, die Gesundheit leidet immer mehr und ein Aufladen des Akkus scheint unmöglich. Ohne Hilfe schaffe ich es nicht mehr, ich brauche Hilfe. Jetzt.
Tag Eins
Das Auto ist gepackt, schon seit gestern. Die Fahrt von einer Stunde auf die Mittagszeit ist an diesem Tag das Leichteste. Die Einrichtung ist größer als ich es mir vorgestellt habe und das Einchecken von neunzig komplett neuen Parteien in zwei Tagen ist ein Prozess für sich. Auf dem Spielplatz beim Warten treffen wir unseren ersten Freund plus Mama, die wir über drei Wochen behalten – wir wissen es nur noch nicht. Es stresst mich ungemein, das Gewusel und all die neuen Begebenheiten. Aktuell fühle ich mich von dem kleinen Program und Aufgaben überfordert. Ich versuche mit der Kleinen Ruhe zu bewahren, schließlich bin ich alleine hier ohne Hilfe. Um für mich etwas Stabilität zu gewinnen, pack ich fast Alles aus für das „Bad Dürrheim Zuhause“. Das Bett knarzt, der Boden nicht. Das Zimmer bietet viel Platz für uns, die Lüftung riecht komisch und ist das letzte Mal an gewesen. Das WLAN ist hier auf dem Zimmer richtig schlecht, im ersten Moment frustet mich das total. Ebenso, dass ich meine Heizdecke nicht benutzen darf. In der ersten Nacht friere ich natürlich.

Tag Zwei
Als wir aufwachen, fühlt sich alles fremd an und ich weiß nicht mal, wie ich mich fühlen soll. Ich bin beim Frühstück schon bedient, als ich mich anstellen muss. Aber wir versuchen, anzukommen. Heute erster Kontakt mit der Betreuung in der Villa Kunterbunt. Eine von mehreren Gruppen. Im Flur beim Warten haben wir Kontakt zur zweiten Freundin samt Mama – wie ahnungslos ich war, dass sie diese eine Mutter sein würde, die sich ein Platz in meinem Herz sichern würde. Die Kleine ist 2,5 Stunden dort und ich bin baff. In der Zeit habe ich Hausdamenbesuch, mache den Aushangcheck und gehe zum Starter-Vortrag. Auch das Gespräch mit der Ernährung habe ich, was ich essen kann und was nicht. Ballaststoffreiche Ernährung könnte hier eine Herausforderung sein. Am Nachmittag samt Kind den Termin mit der Ärztin, um gemeinsam den Therapieplan zu erstellen. Danach Spiel und Spaß zum Weltkindertag, hier im Kontakt mit Freund Nummer drei plus Mama. Am Tag zwei hatte ich meine Mamas für die nächsten drei Wochen schon gefunden, ohne mir dessen so wirklich bewusst zu sein. Fun Fact: das Waschbecken ist zu hoch und ist somit etwas ungeeignet für Wechsel der Versorgung. Woher weiß ich das? Weil Inhalt auf dem Boden landet, anders als sonst.

Tag Drei
Ich möchte wieder nicht wirklich in den Tag starten, da ich auf dem quietschigen Bett so schlecht geschlafen habe. Die Kleine startet in die Villa, es klappt soweit, dass es mir langsam etwas Ruhe gibt. Ich gehe raus in den Wald, sammle Kastanien. Danach checke ich mein Fach an der Rezeption für Benachrichtigung, gehe zum Blutdruckmessen und Therapie-Ausrüstung abholen. Die fast wichtigste Aufgabe des Tages: Ich wechsle die Roste im Bett, denn so kann ich nicht weitermachen. Ich bade, mache mir eine neue Frisur und gehe zur ersten Krankengymnastik und zum Nordic Walking. Never again by the way, Nordic Walking. Dann die Einführung in den Fitnessraum. Spoiler-Alert: ich war danach nie wieder drin. Ein ehrlicher Bericht. Mit Tag drei und das habe ich nicht erwartet, geht die Kleine mit ein bisschen Meckern 6,5 Stunden in die Villa. Es ist Luxus und ich weiß es. Man läuft Leuten randomly in die Arme, das ist irgendwie lustig. Das Abendessen ist nicht so lecker, ich habe schon jetzt oft Bauchschmerzen. Wir sind abends jeden Tag auf dem Spielplatz, danach baden meine Kleine und ich in der großen Badewanne zusammen. Anschließend ein Beutelwechsel. Das Bettrost ist besser. Im Bett liegend habe ich gerade das Gefühl, schon ewig hier zu sein. Ganz komisch.

Tag Vier
Der Wecker weckt uns, aber es ist weniger Zeitdruck morgens. Wir frühstücken Honigjogurt während andere Kinder weinen und die 6-köpfige Familie neben uns wie immer diskutiert. Ich gehe ein paar Lebensmittels einkaufen und zahle an der Rezeption meine offenen Rechnungen. Ich ruhe ein bisschen aus, gehe zum Blutdruckmessen und downloade Filme im Flur kurz vor der Akupunktur bei gutem WLAN. Akupunktur mit Schröpfen ist wirklich gut, bei regelmäßigen Anwendungen könnte das was sein. Muss mich daheim erkundigen. Pause mit der Kleinen bedeutet Kuscheln und Serien. Später gibt es eine Kurauftakt-Veranstaltung, in der ich ein paar innerlich den Kopf schüttle: Schweigefuchs bei Erwachsenen, Bewertungen unter den Teilnehmern und die Kursleiterin meint, dass jede Krankheit gleich schwer auf einem Menschen lastet. Obwohl mir das Event menschlich nicht liegt, „woher“ komme ich und „wohin“ will ich sind wichtige Fragen. Ohne mich anzustrengen gehöre ich hier zu den körperlich am stärksten Beeinträchtigten. Aber reflektiert scheine ich sehr viel mehr als andere zu haben. Danach mit Freya Kastaniensuchen, Essen, Rätseln und Bett. Heute ist der erste laute Abend trotz sonst guter Nachtruhe, denn über uns geht’s erst richtig zur Sache, wenn wir schon zur Ruhe gekommen sind.

Tag Fünf
Trotz des Wochenendes wachen wir gewohnt früh auf. Nach dem Frühstück dürfen wir Papa begrüßen, das ist für unsere Tochter so wichtig. Ich bin es gar nicht mehr gewöhnt, Ausflugstaschen zu packen und vergesse die Hälfte. Wir fahren in einen Wild- und Freizeitpark, aber die Geschäfte sind nass und meistens ab 4, es ist zu kalt mit Wind und auch die Flucht in den Indoorbereich rettet uns nicht. Ich merke, wie mir die Kur einen einfachen Rahmen zur Ruhe gibt. Heute bekomme ich auch meinen vorläufigen Therapieplan der nächsten zwei Wochen, den ich am Montag gleich noch mal ändern lasse. Nach einer Pause geht’s auf Kastaniensuche und auf den Spielplatz, denn einer der Freunde feiert Geburtstag mit Kuchen. Das gemeinsame Abendessen ist toll. Eine weitere Person im Zimmer ist gar nicht so einfach, grad hat man sich zurechtgefunden und dann ist alles anders. Aber es ist was Feines, dass wir ihm hier alles zeigen können. Im Schlafanzug watscheln die Kleine und ich noch zur Rezeption, Oma hat bunte Blumen gesendet. Wir sind sofort Ganggespräch und alle wollen mal schnuppern. Dann wird auch schon geträumt.

Tag Sechs
Ich hatte erst viele Pläne für das Wochenende, nach gestern will ich nur langsam machen. Der neue Toni von Papa ist der Hit und Sonntags ist das Frühstück richtig toll. Der Spaziergang durch die Stadt ist eher mit Diskussionen verbunden, aber wir schaffen es und sehen noch so viele Kastanienbäume. Heute ist hier Radrennen – gehste weg aus Albstadt, der Bike-Stadt und kommst nicht davon weg. Die Strecke läuft direkt vor der Haustür entlang und es ist ganz witzig durch die Gesellschaft der anderen Mamas. An der Rezeption frage ich, ob man bei uns den Müll täglich leeren kann wie bei denen mit Baby. Ich erkläre auch warum, mein Gegenüber weiß Bescheid und schreibt es auf. Gemeinsam essen ist schön, am Wochenende essen viele auch woanders. Nach einer Mittagspause geht’s in die Stadt zur Hüpfburg, zum Spielplatz und Eisessen. Wieder im Bad Dürrheim Zuhause gibt es den vertrauten Spielplatz und die Leute dazu. Der Abschied von Papa gelingt besser als gedacht. Ich freue mich inzwischen sehr auf die nächsten zwei Wochen, fühle mich angekommen. Nachts habe ich arge Bauchschmerzen, die mich aufwecken und zwei Stunden beschäftigen. Es schockiert mich und ich quäle mich sehr.

Tag Sieben
Krokodilstränen. Meine Befürchtung trifft verspätet ein, die Kleine hat Heimweh, will Papa und weint schon am Morgen. Ich versuche zu vermitteln, dass auch Erwachsene Heimweh haben und es okay ist, sich so zu fühlen. Es ist auch ein schwerer Morgen für mich, ich versuche stark für sie zu sein. Mit der Ärztin verändere ich meinen Therapieplan noch mal, wir reden darüber, wie viele Bauchschmerzen ich hier vom Essen habe. Der Vortrag zur Ernährung ist okay, mir wird wieder klar, ohne Kind konnte ich besser drauf achten. Heute gibt’s ein Eis, bevor wir uns an der Villa wieder trennen. Dann habe ich ein Beratungsgespräch, welches ich in ruhigen Minuten wirken lassen kann. Bei den Schwestern hole ich mir mehr Lefax und eine Wärmflasche für meinen Bauch. Mein Bauch ist überfordert. Die Fußreflexzonentherapie ohne Reden ist eine Wohltat. Danach sagt sie: „Bleiben sie ruhig ein bisschen liegen“ und so starre ich einfach aus dem Fenster und beobachte ein Eichhörnchen. Die Welt der Kleinen sieht schon besser aus. Wir gehen Abendessen. Und wieder auf den Spielplatz. Immer das gleiche einfach Schema. Eine meiner Mamas will abbrechen, das geht mir nah. 90 Familien sind hier, 90 mal anders. Irgendwie auf einen Rhythmus und Raum vereint. An der Rezeption frage ich noch mal wegen der Müllleerung, das funktioniert noch nicht. Wieder ein Tag rum.

Tag Acht
Die Kleine schläft so schön, ich lasse sie stressfrei einfach ausschlafen. Kommt selten genug vor. Dann die Villa. Ich fange an, meinen Schlachtplan für die nächsten 6 Monate zu machen. Welche Baustellen müssen wie bearbeitet werden? Welche kleinen Schritte kann ich machen? Klare Gedanken, die ich im Alltag gar nicht mehr greifen konnte. Danach geht es wieder zur Akupunktur, danach ist Ruhe verordnet. Nach der Ruhe geht es zum Wassersport, der wirklich viel Spaß macht. Das Mittagessen ist richtig mies für mich, ich vertrage einen Teil nicht und der andere ist nicht gar also noch schwerer verträglich. Dann die Villa. Ich laufe in meiner freien Zeit in den Kurpark und lege mich an meinen Lieblingsort, dem Gradierwerk. Hier ist die Luft ähnlich wie am Meer, frisch und salzig. Danach gönne ich mir einen Kaffee im Kurhaus wie eine alte Dame und liebe es, beschäftige mich mit Affirmationen. Der Vortrag zu Grenzen und Rivalitäten von Kindern ist interessanter als gedacht. Folgender Vortrag zum Stress holt Vieles wieder aus der Versenkung und gibt Denkanstöße. Dann kommt auch schon das Abendessen, vom Lärm aller bin ich heute etwas überfordert. Wir zwei jedoch sind sehr harmonisch. Sie versteht viel. Zu viel denk ich manchmal.

Tag Neun
Die Nacht ist durchwachsen, meine Kleine wälzt sich und weint oft – schon vor dem Aufstehen hab ich ehrlich gesagt schon keine Lust auf den Tag. Aber der Morgen ist stressarm, hier habe ich mehr Zeit morgens und das ist schön. Das Blatt wandelt sich. Die Hausdame kommt auf’s Zimmer, um mich wegen des Mülls zu unterstützen und ab da klappt es fast täglich. Es folgen zwei Vorträge zu Essmuster mit Stress und Bachblüten, dann Arzttermin zur fast Halbzeit. Das ist für mich kaum zu glauben. Nach dem Mittag schauen wir Serien und ich wechsle meine Versorgung. Vor ein paar Tagen sah ich dort eine Stelle, die mich beunruhigt. Heute ist es besser. Als ich wieder allein bin, mache ich trotz Bauchweh ein paar Übungen für den Bauch. Mein nächster Termin ist schwer greifbar und doch ein Versuch wert: Kunsttherapie. Nicht das schönste „Etwas“ machen, sondern dem Prozess hingeben und in sich hineinhorchen. Ende vom Lied, ich sitze mit einer Hand fest im Ton und heule. Danach direkt im Anschluss in der Gruppe progressiven Muskelentspannung, was für mich aber nicht an Autogenes Training rankommt. Abendessen. Spielplatz. Zum Abschluss heute hole ich mir meine Mischung von intuitiv ausgesuchten Bachblüten aus. Ich schau mir auch die Themen dazu an – intuitiv passen 5 von 6 Blüten, aber es könnte wie ein Horoskop sein – irgendeinen Zusammenhang findet man immer. Mal schauen, was es tut.

Tag Zehn
Was ich hier nachts auf’s Klo renne … aber ich trinke hier auch wirklich viel Wasser. Wir schlafen aus, einfach so. Villa. Ich sitze wieder am Tisch bei offenem Fenster und schreibe meinen Schlachtplan. Danach habe ich Wirbelsäulen-Gymnastik und das tut saugut. Im Anschluss schlendere ich durch die Stadt, Schaufenster-Bummel und Essen kaufen für uns beide. Nur das Essen hier halte ich nicht aus und sie nicht durch. Wenn ich meine Mamas so treffe, dann ist das einfach schön. Man wächst mehr zusammen, als ich dachte. Die Villa funktioniert gut. Am Nachmittag Ernährungsberatung, ich bin stolz, dass ich selbst schon auf gute Ideen gekommen bin. Die Umsetzung und die Kapazitäten sind das Problem. Der Schock auf deren Seite: ich weise keine Abnahme vor. In dem Moment realisiere ich, dass Abnehmen hier tatsächlich nicht meine Priorität ist. Andere Dinge sind es. Heute gab es komplett frische Bettwäsche und Handtücher. Ich downloade im guten Bereich unten etwas für die Kleine und dann lege ich mich eine Stunde ins Bett in einem dunklen Zimmer. Pause. Einfach für mich. Abendessen. Das Indoor-Spielzimmer, das wir heute probieren, fördert eher Streit unter den Kindern und geknickt geht es am Schluss ins Zimmer. Über uns seit Tagen wirklich laut. Mein Schatz schläft friedlich ein und die Welt ist heil um mich herum. Dann fange ich das erste Mal seit Jahren ein Buch an, ein olles Buch zum Umblättern.
Kur Teil 2 hier

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