

Montag 9.9
In der Nacht regnet es viel und es kühlt ab. Ich finde ewig nicht in den Schlaf und beobachte die Regentropfen, die an der Scheibe wie Glitzer funkeln. Der neue Tag geht in der Nacht mit Schmerzen los, im Bauch, aber auch wieder in den Füßen. 40mg Kortison reichen einfach nicht. Es ist unmöglich. Ich merke schnell, dass mein Körper wieder übersät ist mit Quaddeln, Schwestern und Arzt schauen drüber. Meine Nachbarin und ich starten langsam, ich brauche ewig für ein bisschen Brötchen. Noch mitten dabei werde ich kurz vor 9:00 für mich spontan abgerufen für einen Transport in die Hautklinik. Der Taxifahrer ist schon 5 Minuten später da, ich bekomme mich grad so notwendigst gerichtet. In der Hautklinik war ich auch noch nie, vor allem nicht per Taxi. Der Ablauf ist heute sehr reibungslos, ich warte nur eine halbe Stunde. Schnell ist sich die Hautärztin sicher, dass es sich um Nesselsucht handelt. Ob vom Antibiotika oder dem Schub, kann nicht geklärt werden. Ohne diese Antibiotika weitermachen und den Schub bekämpfen, das ist der Plan. Als mich der Krankentransport wieder abholt, erkenne ich ein bekanntes Gesicht vom Freitag. Und das tut gut, so angelächelt zu werden, in so einer Lage. Außerdem fühlt man sich irgendwie special, so durch die Gänge begleitet zu werden. VIP und so. Am liebsten wäre ich es nicht. Er bringt mich wieder in meine Klinik, wir reden über das Leben als Patient, Geduld und seine Töchter. Ich komme gerade rein ins Zimmer, will mich bequemer anziehen und ausruhen, da steht sie da: meine KH-Stomatherapeutin seit Beginn. Perfektes Timing. Wir drücken uns und das tut wirklich gut. Sie bringt mir eine neue Tasche für meine Stomavetsorgung, meine eigene hat 9 Jahre gut gedient. Wir reden über meine Lage, was so in meinem Leben passiert ist die letzten Jahre und was nun auf mich zukommt Zuhause. Mit der Entlassung ist es ja nicht vorbei und je länger wir sprechen, desto mehr realisiere ich, was gerade eigentlich passiert ist. Sie erzählt auch von sich und der Arbeit, es ist ein wunderschöner Austausch. Währenddessen werde ich an weitere 60mg Kortison gehängt, Zielmenge 100mg täglich. Verdammte Scheiße. Ich ruhe mich aus, für meine Nachbarin geht heute oft die Tür auf und zu. Irgendwann geht die Tür auch für mich auf, meine Mutter kommt zu Besuch. Sie bringt mir fehlende Sachen und Kleidung, weil mein Vorrat zu neige geht. Weil wir nicht wissen, wann ich wieder gehen kann. Wir laufen durch das Klinikum, ich zeige ihr, wie alles zusammenhängt und wir setzen uns in die Cafeteria. Nach 1,5 Stunden merke ich, dass meine Batterie leer ist und ich muss hinliegen. Nachdem der Besuch weg ist, kommt das Abendessen und meine Nachbarin sitzt mit mir an den Tisch. Wir lachen, Essen super langsam und sind einfach da. Solche Verbindungen im Krankenhaus sind, wenn sie entstehen, eine besondere Art der Verbindung. Diese hier hilft mir, die Schwere der Situation weniger zu spüren. Mit dem Pfleger auf den Abend können wir weiterlachen, manchmal fühle ich im Inneren, dass Lachen heilen kann. Wir machen einen kleinen Spaziergang zum Fenster Richtung Zuhause und die Trombosespritze geht mit Leichtigkeit. Auf 21 Uhr beginnen schlimme Krämpfe mit derben Spitzen, ich brauche zusätzliche Schmerzmittel, die mich zwei Stunden von allen Schmerzen befreien. Dann geht es wieder los, dumpfe Krämpfe, welche meinen Bauch verhärten und mich quälen. Ich knicke ein paar wenige Stunden ein und schlafe, aber nicht gut.



Dienstag 10.9
Mein Schlaf ist leider durchzogen von Albträumen und Schmerzen. Ich wache erschöpft auf und rutsche gleich in die nächste Schmerzwelle hinein. Die Schwester überrollt mich fast mit „Sie werden heute entlassen“, meine sofortige Reaktion darauf ist ein klares Nein mit der Erklärung, dass ich mit diesem Schmerzlevel nicht heimgehe. Ich esse unter Schmerzen Frühstück und habe das Zimmer für mich, meine Nachbarin ist zu Untersuchungen. Der Arzt kommt vorbei und wir klären, dass eine Nacht zur weiteren Überwachung kein Problem ist. Ohne Umwege zum Bad lege ich mich wieder ins Bett und döse vor mich hin, dachte jedoch nicht, dass ich wirklich eingeschlafen bin. Ich werde wieder wach, als der Helikopter auf dem Nachbargebäude wieder losfliegt. Als ich mich zu meiner Nachbarin umdrehe, um zu fragen, wann zum Kuckuck der Heli gelandet war, sitzt um sie herum Besuch. Hab ich auch nicht mitbekommen, war komplett weg gewesen. Nach dem Mittagessen und Frischmachen, gehe ich ein paar Schritte im Haus laufen. Damit ich wenigstens mal draußen war, denn danach leg ich mich zurück ins Bett. Als wir wieder zu Zweit sind im Zimmer, quatschen wir und genießen den ein oder anderen Lacher. Viel schmerzfreier in dem Moment, werden Quatsch-Gymnastik-Übungen am Krankenhausbett-Griff gemacht und damit bringe ich nicht nur uns, sondern auch den Pfleger zum Lachen. Wir haben das Gefühl, dass die Belegschaft angespannt wirkt die Tage. Was tun können wir da nicht, außer wertschätzend mit Ihnen umgehen.
Du wirkst so ruhig, sagt meine Nachbarin.
Dabei habe ich 20 Tabs gleichzeitig offen.
Die Entlassung steht bevor und dieser Schritt macht mich nervös und ich weiß gar nicht, welche Aufgabe ich zuerst abarbeiten muss. Ich schreibe meine To-Do-Liste, um ein bisschen Klarheit zu gewinnen. Auf den Abend hin gehen wir noch zu unserem Richtung-nach-Hause-Fenster schauen. Wir essen am Tisch zusammen Abendbrot und schauen auch stillschweigend aus den Fenster, es ist ruhig. Klar sehnen wir uns beide nach Daheim, nach Alltag, nach keiner Einschränkung. Heute schlafe ich mit viel weniger Schmerz sogar gut ein und durch.


Mittwoch 11.9
Gegen 5:00 kommt erst die eine und dann die andere Infusion, ich schlafe einfach wieder. Es war ein guter schmerzloser Schlaf. Ehe ich mich versehe, wache ich 6:55 auf. Bis um 7:00 hatte ich gesagt, dass ich mich bei meinem Mann melde, ob er mich heute abholen soll. Die Schwestern kommen und ich drücke ihr noch ein paar niedergeschrieben Notizen und Fragen auf einer Rätselheftseite in die Hand, für den Entlassungsbrief. Heute geht es heim. Ich nehme meine Schmerztablette, bevor der morgentliche Schwung zu stark wird und gebe meinem Mann endlich knapp Bescheid. Ob ich bis dahin im Zimmer bleiben kann, ist derzeit noch eine offene Glückssache. Ich wünschte, der Zugang wäre schon draußen, aber „der wird erst entfernt, wenn sie die Arztbriefe in der Hand halten“. Ich entscheide absichtlich langsam zu machen. Erst wird mit meiner Zimmernachbarn gefrühstückt, wir unterbrechen für das letzte Mal Blut abnehmen. Danach muss ich mal packen. Ich lass mich nicht hetzen, als die Putzfrau für den täglichen Budenschwung kommt, leg ich mich demonstrativ wieder ins Bett. 9:15 und mir wurde noch nicht gesagt, dass ich raus muss. Ich packe zu Ende, mache mich im Bad frisch. Den Arztbrief habe ich überflogen, erste Rezepte und Liegebescheinigung erhalten. Ja, auch der Zugang kommt endlich weg. Als ich um 10:00 fertig bin, lege ich mich angezogen auf’s Bett und hoffe, dass ich die nächste Stunde hier warten darf, bis mein Mann da ist. Es ging zügig mit der Entlassung hier. Nach 1 Woche und 1 Stunde verlassen ich das Krankenhaus. Mit Apothekenstop (8 Positionen kleiner Packungen, die Station darf nur die kleinsten Packungen aufschreiben) ab nach Hause und auf’s Sofa. Machen wir uns nichts vor, Bäume reiße ich jetzt noch nicht aus. Ich freue mich unbeschreiblich und unter Tränen, meine kleine Maus wieder in die Arme schließen zu können und weiß, dass in meinem kleinen Mädchen gerade ganz viele Gefühle stecken und sie so tapfer war. Ab jetzt können wir das zusammen machen, jeden Tag ein bisschen.

Donnerstag 12.9
In der Nacht und schon gestern Abend bekam ich wieder Schmerzen im linken Fuß. Das heißt: ich bin zu schnell gewesen, zu viel gelaufen. Aber es war nicht viel. Als wir aufwachen, also meine Tochter mich aufweckt, bin ich weit weg von fit. Ich schlucke gleich Schmerzmittel und Kortison. Mein Mann übernimmt den Kita-Dienst komplett, ich lege mich hin, bis ich etwas fitter bin. Dann zieh ich mich an und gehe zum niedergelassenen Arzt. Warte über eine Stunde für die Krankmeldung sowie die Rezepte. Mir fallen wahrlich die Augen zu und ich hab Probleme, gerade auf dem Stuhl sitzen zu bleiben. Ich stoppe wieder bei der Apotheke und nach 2 Stunden bin ich wieder Zuhause. Nach einem Rührei lege ich mich ins Bett und schlafe ein. Noch bevor der Rest der Familie wiederkommt, esse ich eine Runde Honigquark und ziehe auf’s Sofa runter. Der Nachmittag ist anstrengend für mich, mit Kind erholt es sich einfach nicht gleich. Aber wir erledigen ein paar Aufgaben langsam und ich gewöhne mich wieder daran, kleine und große Bedürfnisse von jemand anderem zu erfüllen. Hatte ich gestern am Abend noch richtig Kopfschmerzen, sind diese heute nicht da und das ist erleichternd. Eine gute Nacht würde mir helfen, Kraft für den nächsten Tag zu tanken.
Freitag der 13.9 (Jaaaaa, Freitag der 13.)
Boah, wenig Schlaf und viele dumpfe Schmerzen aber ohne Spitzen. Das beschreibt diese Nacht. Bei den Schmerztabletten will man das ja hoffen, dass die krassen Spitzen ausbleiben. Im Bauch funktioniert es, am Fuß nicht. Es ist Mitternacht und kein Schlaf in Sicht, nicht optimal. Wie ich die letzten Tage vermehrt äußerte, wenn mich jemand auf Daheim ansprach: Die erste Zeit Zuhause ist hart, denn auch wenn alles versucht wird, die Belastung gering zu halten, es ist viel mehr als im KH. Längere Wege, nicht mehr so viel liegen, Bedürfnisse anderer, Termine die man selbst bewerkstelligen muss, Körperhygiene die schon im KH viel Energie frisst, tut es hier auch, Telefonate, Krankenmanagement, Essen und Trinken macht sich nicht von allein. Es klingt wie meckern auf hohem Niveau und während ich das schreibe, denke ich: nein, das ist nicht meckern. Das ist realisieren, wie viel Kraft die einfachsten Aufgaben benötigen. Wem das vorkommt, als würde ich damit die Rolle des Opfers zelebrieren oder Mitleid bei anderen herstellen wollen: hau ja ab. Ich sag einfach nur, wie es ist. Wen das stört, der ist hier falsch bei mir. Für jemanden, der einfach immer weiter gemacht hat wie ich, ist es nur fair, zu lernen, dass es gerade nichts Wichtigeres als meine Gesundheit gibt. Für mich und für meine Familie. Ich übe mich die Tage intensiv darin, zu akzeptieren, dass ich in eine ungewollte Position gerutscht bin. Ich verfluche mich deswegen nicht, ich mache mich nicht kleiner als ich bin. Ich versuche viel Dankbarkeit zu zeigen an meine Familie, da sie ebenso ungewollt in dieser Position sind. Keiner braucht hier zusätzlich schlechte Gefühle, sondern Liebe und Geduld. So gut es jedem von uns möglich ist. Eine der drei Nebenwirkungen von Kortison, die mich persönlich am Stärksten negativ im Alltag beeinflussen: Schlafstörungen, Änderungen im Gemüt durch mehr Gereiztheit und depressive Verstimmungen sowie die Kontrolle der Gewichtszunahme. Gegen die Schlafstörungen war ich bisher ziemlich machtlos. An den anderen Dingen arbeite ich aktiv, um besser durch diesen Schub zu kommen. Akzeptanz, Eiweißlastige Ernährung und Unterstützung von meinem Mann. Nach 4 Stunden Schlaf weckt mich meine Tochter, es ist 5:40. Normale Zeit. Ich habe mir meine morgendlichen Tabletten neben dem Bett gerichtet, das macht die ersten Morgen einfacher. Ich darf liegen bleiben, bis die zwei gerichtet sind und stehe selbst um 7:10 auf. Frisch machen, umziehen und los. Nach 1:10h Fahrt grad zum Termin da. Nach fast zwei Stunden komme ich dran (schlafe fast auf dem Stuhl ein), 5 Minuten dauert das Gespräch. War mir klar. Ein high end small molecules Medikament in Tablettenform bekomme ich. Team Rinvoq bin ich nun, muss zum Kontroll-Gespräch in 12 Wochen wieder her. Dann wird weiter entschieden – je nach dem, ob ich davor Nebenwirkungen zeige, natürlich eher. Drei Monate kosten hier 7000 Euro, es flasht mich jedes Mal, was Dinge, die mich am Leben teilhaben lassen, kosten. Ich treffe mich auf ein kurzes Hallo mit meiner Zimmernachbarin und fahre dann 55 Minuten wieder heim. Wieder zur Apotheke, natürlich muss das bestellt werden. Ich kann noch einen schnellen Hähnchensalat essen und mich ein bisschen hinlegen, bis die Kleine kommt. Ich bin ziemlich platt und hoffe, dass es nicht zu viel war heute. Denn trotz Schlafmangel fühle ich mich so stabil wie lange nicht, das Kortison und Tilidin tut, was es soll. Aber ich mach mir nichts vor, das sind Hammer.


Ich bin dankbar im Moment. Weil ich mich nicht allein gefühlt habe, wie vor 16 Jahren und die Jahre danach. Ich bin durch das neue Medikament und meinen Blog umgeben von Menschen, die meine Situation selbst kennen und mich sehen können. Ich bin umgeben von Allies, die ich teils noch nie in meinem Leben gesehen habe. Danke besonders an Lina, dass du bei mir warst die ganze Zeit und ich einfach sein konnte. Ein Dank an die Allies mit ihren offenen Ohren und richtigen Worten. Ohne die Community ginge es mir schlechter und deswegen: Vielen Dank!

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