Wie viel kann mit einer Rezeptbestellung schiefgehen?

Die Antwort lautet: alles!

Ende Februar: Ich nehme eine verschlossene Packung RINVOQ für meine Crohn aus dem Schrank, öffne sie und fülle die Tabletten in die bereits offene Dose, die ich tagtäglich benutzte.

Samstag 01.03. Als ich meine morgendliche Tablette nehmen will, fallen mehrere davon heraus. Sie haben unterschiedliche Farben und mir wird sofort klar, dass ich einen Anfängerfehler begangen habe. Ich hatte nicht richtig geschaut Ende Februar und die höhere Dosis des Medikaments, welches ich nicht mehr nehmen darf, mit der geringeren Dosis vermischt. Ich erinnerte mich, dass ich die hohe Dosis in zu großer Menge erhalten hatte und ich es erst nicht wegwerfen wollte. Denn zurückgeben konnte ich es nicht, nehmen konnte ich es nicht, weitergeben konnte ich es nicht. War es mein Fehler, zu viel erhalten zu haben? Nein. Zum Glück haben sie eine andere Farbe, also sortiere ich die Falschen aus und werfe sie direkt weg. Es soll mir nie wieder passieren. Es bedeutet auch, dass ich nur noch bis Samstag 8.3 Tabletten habe. Eine Woche. Meine Rezepte für dieses teure Medikament bekomme ich nicht vom niedergelassenen Arzt, sondern von der Klinik. Ich schreibe direkt wie angewiesen eine E-Mail und bestelle 3x 30 Tabletten mit 30mg. Ich hänge ein Bild der richtigen Dosis an. Das letzte Rezept war nach 2 Tagen da gewesen – davon gehe ich nicht aus, wir haben ja die dreifache Zeit bis zu meiner letzten Tablette und ich bin nicht beunruhigt.

Mittwoch 05.03. Schreibe ich erneut die Klinik an, um mich sehr freundlich zu vergewissern, dass das Rezept auf dem Weg ist.

Donnerstag 06.03. Erhalte ich aus der Klinik die Antwort, dass das Rezept am Montag erstellt worden war und sich auf dem Weg befindet. Zur Erinnerung, ich habe die falschen Tabletten weggeworfen. Ich habe kein Backup. Es sind nicht mal teilbare Tabletten gewesen, teilen ist also eine verrückte Idee. Wer weiß, wie der Wirkstoff in der Tablette verteilt ist.

Freitag 07.03. Ich passe Mittags auf dem Weg in die Stadt den Postboten ab, er habe den Brief mit dem Rezept dabei. Die Anspannung der letzten Tage weicht Erleichterung und ich fahre direkt zur Apotheke, zu der ich immer gehe. Noch bevor ich hineinlaufe, schaue ich auf das Rezept und sehe, dass die hohe Dosis draufstand. Ich bin genervt, weil auch beim letzten Klinikbesuch das Rezept den gleichen Fehler aufwies. Vor Ort konnte ich es sofort korrigieren. Nun ist es anders. Ich gehe hinein und erkläre, dass mir ein falsches Rezept ausgestellt wurde und ob das Ausgeben einer geringeren Dosis möglich ist, um meine Therapie richtig fortzusetzen. Sie stimmt zu. Anspannung. Erleichterung. Anspannung. Erleichterung. Dann kommt der Schock, das Rezept weist einen viel gravierenderen Fehler auf: Selbstzahler! Ich falle aus allen Wolken, in 17 Jahren chronisch krank, in über 10 Jahren als Patientin in dieser Klinik, ist das noch niemals geschehen. Ich verstehen es nicht. Ich habe nicht mal kurz 6.000 Euro in der Tasche und ich weiß in dem Moment, dass das ein übler Fehler ist. Die Apotheke ist handlungsunfähig, weil es für sie ein unüberschaubares Risiko sei, ich würde so keine Tabletten erhalten. Verständlich. Es ist Freitag nachmittags – in der Klinik erreiche ich in der Abteilung nach mehreren Versuchen niemanden. Mein niedergelassener Arzt ist ebenso im Feierabend und kann mich nicht retten. Keine Korrektur war möglich, ich habe eine Tablette übrig. Ich muss meine Tränen zurückhalten und spüre, wie leid ich der Frau hinter dem Schalter tue. Wie fahrlässig dieser Fehler ist. Die Angst, die mit Therapieabbruch in meinem Kopf ihre Runden drehte, versteht jemand Gesundes nicht. Wir suchen den Beipackzettel durch, um zu erkennen, was passiert, wenn die Einnahme unterbrochen wird. Ein Tag, mehrere Tage. Aber es gibt keinen Eintrag, der uns hilft. Im Gespräch ergibt sich die Hilfestellung, ausnahmsweise auf das korrigierte Fax das Medikament nächste Woche zu bestellen, um die Therapie schnellstmöglich zu sicher. Wenn ich Anfang nächster Woche die Korrektur anstoßen kann, versteht sich. Ich verlasse die Apotheke und weiß, dass meine einzige Chance für Hilfe in den Händen anderer Patienten liegt. Ich poste sofort auf Instagram, dass ich auf der Suche nach Patienten in der Nähe bin, die mein Medikament auch nehmen. Zuschicken ist nicht. Ich weiß, dass es diese anderen Patienten vor einem halben Jahr gegeben hatte, aber nicht, ob es immer noch so ist. Nach wenigen Stunden bin ich erfolgreich mit meiner Suche und erst mal erleichtert. Ich kann meine Unverständnis kund tun, habe Hilfe bei der Suche und auch das Angebot, Tabletten per Post zur Überbrückung zu erhalten.

Samstag 08.03. Ich nehme meine letzte Tablette und fahre nach dem Frühstück 25 Minuten eine Strecke, um im gleichen Landkreis privat 4 Tabletten bei einer andere Crohn-Patientin zu holen. Das ist eine Grauzone. Es ist zugleich ein Scheißgefühl und wunderschön, auf diesen Support angewiesen zu sein und ihn tatsächlich zu erhalten. Ich bin zutiefst dankbar.

Sonntag 09.03. Schreibe ich eine detaillierte Mail an die Klinik, dass das Rezept falsch ist, was daran falsch ist und wie extrem dringend ich ein korrigiertes Rezept brauche, ebenso sehr genau, was das richtige Rezept beinhalten muss. Ich will sicher gehen, dass es dann richtig kommt. Ganz ehrlich gesagt bin ich schlichtweg auch wütend über diese Situation.

Montag 10.03. Ich bin in der Tat gleichermaßen und mehr wütend, als ich die Antwort lese. Ob ich denn mein Rezept vom 03.03. erhalten habe. Ja!!! Ja!!! Ja!!! Ich habe Probleme, meine Wut in Zaum zu halten, entscheide mich jedoch, sie erneut auf meine Mail und deren Inhalt hinzuweisen. Dann ruft sie mich an. Es ist mir vollkommen unverständlich, wenn man überlegt, dass die Klinik einen Service leistet, wie das alles passieren kann. Und meine Laune verändert sich nicht zum Besseren, als sie mich darauf hinweist, wie ich mich immer in der Klinik anmelden muss, damit im Computer die richten Daten gezogen werden können. Weil ich dem richtigen Prozess stets folgte. Meine Daten sind richtig im System. Dann merkt sie an, dass ich ja gar keinen neuen Termin in der Klinik hätte. Ich öffne meinen Kalender, nenne ihr ein Datum und eine Uhrzeit. Sehr wohl habe ich einen Termin. Das Telefonat ist frustrierend und sie sagt nicht einmal Entschuldigung, sie sucht nur irgendwelche Ausreden und hilft erst nicht. Erst sind die Fehler bei mir, dann ist es ein Fehler der Klinik. Aber das nächste Mal wäre bestimmt alles gut (das Vertrauen habe ich übrigens komplett verloren). Ein absolut bizarres Gespräch. Ich sage erneut, was ich brauche. Sie sagt mir eine Korrektur zu, Fax an die Apotheke und Original an mich, und wir beenden das Telefonat. 2 Stunden später rufe ich bei der Apotheke durch, ob ein Fax angekommen ist. Ist es, muss sie sogar lachen dabei. Ich frage verunsichert, ob die Dosis richtig ist. Ja. Ob die Krankenkasse drauf steht. Ja. Aber die Menge wäre wohl sehr gut gemeint. Es ist kein 3-Monatsvorrat, wie gewollt, sondern ein 9-Monatsvorrat. Es ist mir absolut schleierhaft, wieso. Wie besprochen bestellt die Apotheke nun eine Packung auf das Fax. Nur damit werde ich den Rest bekommen und erst mit dem Original wäre die erste Packung für Apotheke anrechenbar. Ich frage mich, ob die Krankenkasse das Ganze durchwinken wird oder nachträglich Ablehnen kann. Wir reden ja inzwischen von einem 5-stelligen Betrag.

Dienstag 11.03. Erneuter Besuch in der Apotheke, ich erhalte mein Medikament und kann nun die Therapie definitiv bis zum nächsten Klinikbesuch weiterführen.

Freitag 14.03. Ich fahre morgens samt Dank-Schokolade wieder 25 Minuten eine Strecke, um die 4 Tabletten zurückzugeben. Ehrensache, diese so schnell die möglich zu retournieren. Man merke, das Originalrezept hat den Weg immer noch nicht zu mir gefunden.

Dienstag 18.03. 8 Tagen nach dem Telefonat immer noch kein Originalrezept im Briefkasten. Es nervt mich dezent. Ich schreibe nach der Rückkehr vom Geschäft am Abend wieder eine Mail an die Klinik und frage nach.

Mittwoch 19.03 Erhalte ich eine Mail von der Klinik, es wäre verschickt. Wenn es in zwei Tagen nicht im Briefkasten ist, soll ich es abholen. Und ich denk mir: Wann genau soll ich 2,5 Stunden rein quetschen, um in die Klinik zu fahren, wenn ich selbst arbeite? Wo genau soll ich das hernehmen? Ich schreibe also zurück, dass ich in 1,5 Wochen einen Termin habe und es dann holen werde. Zum Glück habe ich diesen Termin. Für das Rezept und um das Chaos anzusprechen. Es hatte mich zu viel Kraft gekostet. Tatsächlich ist es mir mit der Apotheke langsam sehr unangenehm, obwohl ich nichts dafür kann. Ich rufe dort an, um zu signalisieren: ich bin dran!

Donnerstag 20.3. Das Rezept ist immer noch nicht hier. Eigentlich unfassbar. Meine Kolleginnen reden über den Streik der Post letzte Woche und ich denke mir, klar, mein Rezept ist wahrscheinlich ein Opfer davon. Die Klinik, wahrscheinlich inzwischen genauso genervt von mir wie ich von Ihnen, versucht mich anzurufen und schrieb mir dann, dass mir zu meinen Termin das Rezept erneut ausstellen wird.

Montag 24.3. Eine Nachricht auf dem AB sagt mir, dass ich mich am Freitag nicht wie gewöhnlich in der Klinik anmelden muss, sondern direkt in die Ambulanz kommen soll. Das ist total ungewöhnlich, warum das so ist, wird nicht gesagt. Ich habe offiziell aufgegeben, dass das Originalrezept seinen Weg zu mir findet.

Donnerstag 27.3. Ich rufe bei der Apotheke an, um eine Sache in Erfahrung zubringen, weil derzeit mein Vertrauen in die bürokratischen Talente der Klinik erschöpft sind. Ich will wissen, ob die restlichen Tabletten vom Monsterrezept bereits dort liegen und ob das Zurückgeben möglich ist. Und ja, die Tabletten sind da, und nein, zurück geht das nicht mehr. Warum habe ich das gefragt? Falls die Klinik morgen beim erneuten Ausstellen ihren Fehler sieht und mir dann mein ursprünglich abgefragtes Rezept ausstellen wollen, muss ich darauf beharren, das Monsterrezept zu bekommen. Für die Apotheke. Ein paar Stunden später klingt mein Handy. Die Apotheke ist dran und ich im ersten Moment irritiert. Bis mir die gleiche Frau nun Folgendes erzählt: nach meinem Anruf hätte sie sich den ganzen Fall noch mal angesehen und den Papierkram betrachtet. Das Original wäre gekommen, ja das Rezept war sogar schon an die Krankenkasse weitergegeben. Nicht an mich adressiert, sondern an die Apotheke. Ich bräuchte die Tabletten nur noch abholen. Zu gleichen Teilen dankbar und sprachlos, so würde ich meinen Zustand nach dem Telefonat beschreiben. Dankbar, dass es nun geschafft ist. Sprachlos, dass die Klinik sagt, sie schicken mir das Original heim, um es dann nicht zu machen und mich nicht drauf hinzuweisen. Sprachlos, dass dann in der Apotheke über eine Woche niemand überblickt, was passiert. Zwischen zwei Terminen fahre ich 15 Minuten nach dem Anruf noch blitzschnell zur Apotheke und nehme die Tabletten an mich. Endlich.

Freitag 28.3. Es ist Zeit, in die Klinik zu fahren. Das falsche Rezept soll ich mitbringen. Uneingelöst. Ist ja klar, was sonst? Heute warte ich unter einer Stunde auf meinen Termin. Mir wird unter Rinvoq die Impfung gegen Gürtelrose empfohlen, danach werde ich mich auch richten. Ich gebe ihm mein falsches Rezept und erzähle ihm in Kurzform von dem Chaos. Ich erzähle, dass ich mir privat Tabletten besorgen musste. Es tue ihm so unendlich leid. Er möchte keine Namen nennen, aber wir wissen beide in diesem Moment, dass das Problem vor dem PC saß und weiterhin sitzt. Er kreist die Fehler auf dem Rezept ein, als würde es nachher jemand zu Gesicht bekommen. Da ich stabil bin und mein Tabletten ja bis Ende des Jahres reichen, bekomme ich zur Kontrolle eine Termin im Herbst – wissentlich, dass ich dann das nächste Rezept vor Ort bekomme (und vor Ort direkt korrigieren könnte). Ich darf noch mal eine Stuhlprobe einsenden und Blut wird auch angezapft. Dabei gibt es am Schluss einen herzlichen Lacher – eine der blutgefüllten Röhrchen wandert direkt in die Hemdtasche der Arzthelferin und ohne Umschweife ist mein Mund offen und ich höre mich sagen: „Bisschen was für Zuhause?“ Wir beginnen beide zu lachen; weil ich es so unglaublich lustig finde und sie sich schon viel zu lange gefragt hatte, wann endlich mal jemand was sagt. Ein schönes Ende dieses Chaos. 

PS: Manche Röhrchen müssen lichtgeschützt gelagert werden, bevor sie untersucht werden können 😉

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