EINS
Nach meiner Ankunft im Krankenhaus warte ich ganze fünf Stunden auf meinen OP-Abruf. Lange Stunden, in denen ich es kaum abwarten kann, dass es los geht und zugleich, dass es endlich vorbei ist. Meine Zimmernachbarin ist sehr jung, hat sich selbst verletzt und ist deswegen hier. Neben den Schwestern bleibt dies heute mein einziger direkter Kontakt, denn ich will heute keinen Besuch mehr und schreibe den Wichtigsten nur, dass ich wieder aufgewacht bin. Fühle mich nach der OP einfach nur platt, aber hauptsächlich froh.
ZWEI
Nach einer schmerzhaften Nacht bekomme ich zum ersten Mal eine Schmerzpumpe, es ist Fluch und Segen zugleich. Sie überspielt zwar die meisten Schmerzen, lähmt aber auch die Verdauung und macht unwahrscheinlich müde. Die OP verlief nicht wie besprochen, das Stoma ist nicht sehr prominent und es gab kein Schutznetz zur Hernien-Prophylaxe, aber ändern kann ich das nun auch nicht mehr. Jede Bewegung ist schwer und meine Nachbarin ist anstrengend. Besuch von meiner M., die hier arbeitet, dann kommt mein B. und hält meine Hand.
DREI
Der komplette Tag zieht nur so an mir vorbei, denn ich schlafe mehr, als ich wach bin. Mama kommt zu Besuch, mit ihr laufe ich die ersten Schritte außerhalb des Zimmers. Laufen ist wichtig für den Kreislauf, die Muskeln und die Verdauung, trotzdem braucht es reichlich Überwindung. Dritter Tag mit drittem Zugang, hoffentlich hält dieser länger. Schwester D. und Pfleger B. machen alles etwas einfacher und bunter, meine Nachbarin erschwert es unnötig. Meine Verbindung nach Außen ist mein Handy, das mir manchmal vor Müdigkeit ins Gesicht fällt.
VIER
Es geht mir gut. Die Drainage wird aus der Wunde entfernt, wo einst mein Ileostoma war. Mein Bauch fühlt sich stellenweise taub an, zudem ist er von nun an nicht mehr symmetrisch. Heute mache ich einen Spaziergang mit meinem B. ohne Pumpe. Bis ich danach wieder dranhänge, merke ich: Das Ding macht abhängig. Krankenhausessen nach der OP ist simpel, es gibt Brühe, Zwieback, Tomatensuppe und Pudding. In der Nacht habe ich schreckliche Albträume, mir wird berichtet, dass ich im Schlaf geredet habe. Geht mir also doch nicht so gut.
FÜNF
Schon beim Aufwachen weiß ich, dass heute ein Scheißtag ist. Die Visite will mir Abführmittel über die Vene geben, weil der Darm nicht arbeitet – wer will es ihm nach eineinhalb Jahren verübeln. Mehrere Versuche, dem zu entgehen, scheitern (diese Prozedur ist für mich körperlich und psychisch immer wahnsinnig anstrengend). Zusätzlich flippt die Nachbarin heute total aus, ich versuche, darüber hinweg zu sehen, aber ich bekomme keine Ruhe. Ein richtig beschissener Tag.
SECHS
Neuer Morgen, neue Chance. Ich stehe auf, geh ins Bad und sogar gleich laufen. Die Stoma-Therapeutin kommt und legt mir einen Katheder, der mir zusätzlich zur Infusion helfen soll. Die Pumpe wurde mir genommen, mein Kreislauf hasst mich und ich verfluche alles und jeden. Meine Nachbarin toppt den gestrigen Tag, ich weise sie zurecht, wie unzumutbar sie ist. Ich hätte nach einem anderen Zimmer fragen sollen. Etwas Aufmunterung bekomme ich von meinen Besuchen, es sind die drei selben Verdächtigen. Ich bin Ihnen dankbar.
SIEBEN
Gestern hat mein Ru, so hieß mein Ileo und so wird mein Colo heißen, gearbeitet… heute streikt er und mein Bauch bläht. Essen und Bewegung ist das Motto der Visite, aber mit Schmerzen nicht leicht umzusetzen. Schwester D. macht mir Wickel und gibt mir tolle Schmerzmittel, die Infusionen bleiben aus. Mit weniger Schmerz packt mich die Motivation. Ich laufe über den Tag verteilt drei Kilometer, während meine Nachbarin zeitweise das Zimmer zusammenbrüllt. Drei Freundinnen kommen zu Besuch, das tut mir gut. Es lenkt ab.
ACHT
Der gestrige Tag wiederholt sich, ich soll essen und laufen, Ru tut weiter nichts. Trotzdem soll ich morgen entlassen werden. Verunsichert kralle ich mir die Stoma-Therapeutin und erfrage mir ein paar Informationen. Natürlich will ich raus, weg von der Nachbarin, dem Krankenhausessen und dem Baulärm aus Etage 5, aber überzeugt bin ich nicht. Der Tag verbleibt ohne Besuch von meinem B. wegen der geplanten Entlassung und mein Beutel bleibt ohne Inhalt. Ich wälze mich durch eine schlechte Nacht.
NEUN
Ich stimme der Entlassung zu, was ich schwer bereuen werde. Verunsichert warte ich auf meine Mama, die mich abholt – und erschrecke beim Blick in den Arztbrief. Er enthält falsche Angaben der Behandlung und stellt falsche Nebendiagnosen fest. Laut Arzt bin ich z.B. hochgradig fettleibig, es ist eine Frechheit. Das kann nicht drin stehen bleiben, meine M. hilft mir bei der Beanstandung. Die Sonne scheint, nach der Heimfahrt sitzen wir auf die Terrasse. Ich verdrücke mir ein paar Tränen, denn ich bin Zuhause. Der Albtraum beginnt am Abend, ich habe unwahrscheinliche Schmerzen und übergebe mich … noch vor Mitternacht fährt mich mein B. wieder in die Klinik.
ZEHN
Nachts in der Notaufnahme – ich habe Schmerzen und wahnsinnig Angst. Ich will, dass es aufhört. Nach Magensonde und Zugang schießt mich das gute Zeug richtig ab. Interessant, wie das nachts alles im Krankenhaus funktioniert. Beim CT werden meine Klamotten total versaut, aber die Erlösung kommt: Es ist kein Verschluss! Nach notwendigem Abführen darf ich endlich schlafen bzw. auf Station, mein B. darf nach Hause. Nach ein paar Stunden Schlaf verspricht man mir montags eine Spiegelung, d.h. das Wochenende werde ich nicht essen. Ich weine oft, fühle mich zerrissen und zurückgeworfen. Ich hätte nicht gehen sollen!
ELF
Meine neue Zimmernachbarin ist nett, wir verstehen uns und sind für einander da, von Beginn an. Literweise Kleanprep für die Untersuchung muss ich trinken, bei jedem Glas kommt es mir fast wieder hoch. Aber ich mach so schnell ich kann, damit ich, wenn mein B. kommt, fertig bin. Es klappt fast schmerzlos. Meine M. kommt und die Tränen fließen, so verloren fühle ich mich. Mein B. entführt mich danach in die Sonne, wir spazieren in und um die Klinik herum, betrachten eine Ausstellung. Danach liege ich nur noch rum, schaue mit J. fern und nehme eine Tablette zum Schlafen.
ZWÖLF
Meine Motivation ist unterirdisch. Nachdem ich die Schwestern schon genervt habe, werden heute endlich die Klammern und Fäden entfernt – höchste Zeit, um Ru liegt schon ein Burggraben. Dann werde ich zur Endoskopie aufgerufen und warte dort ganze zwei Stunden im Gang, kämpfe mit Wut und Tränen. Der Mann, der mich vorbereitet, erinnert mich, dass ich immer noch selbst entscheide – auch wenn es nur um Fragen geht, die ich vor dem Schlafen gehen beantwortet haben möchte. Auch wenn das Zeit benötigt. Als ich aufwache, reden die Ärzte von einem Knick im Darm. Behandelbar entweder durch Geduld oder eine OP, alles ist noch drin. Der Gedanke zerreißt mich.
DREIZEHN
Die Nacht war mies, die Motivation ist immer noch auf dem gestrigen Level – ich bleibe einfach liegen und warte auf mein Schicksal. Mein Operateur ist die Visite, er nimmt mir etwas die Angst. Der Knick muss nicht operiert werden, er ist Ansichtssache und kann mit Kostaufbau sowie Bewegung beseitigt werden. Der Engpass, wie ich es nenne, liegt im beweglicheren Teil des Dickdarmes und sollte sich zurechtschütteln. Ich versuche, positive Gedanken zu fassen. Ich bewege mich, esse und trinke. Mein Kopf fühlt sich jetzt blank an, ich schlafe viel zwischen der Bewegung. Meine M. und mein B. besuchen mich.
VIERZEHN
Was bleibt mir anderes, als es zu versuchen? Ich gehe vor dem Frühstück laufen und sofort nach der Visite. Dann schlafe ich etwas, gehe duschen und wieder laufen – mit Musik, denn die hilft, entführt mich weg von hier. Mit meinem Besuch gehe ich wieder laufen, versuche Optimismus auszustrahlen, was schwer fällt. Als ich später allein auf dem Zimmer bin, schmerzt mir plötzlich der Bauch und zum ersten Mal arbeitet er selbstständig. Ich fange an zu heulen, vor Glück. Kurz danach sitzen wir alle zusammen, ich bin wie berauscht und stecke alle an mit meiner Freude, auch die Belegschaft, Pfleger B. auch. Nach dem Abendessen geht es auf einen letzten Spaziergang zu meiner Bank, mit dem Blick Richtung nach Hause.
FÜNFZEHN
Ein bisschen was hat Ru getan über Nacht. Die Visite will mich am liebsten schon wieder nach Hause schicken – ich verweigere. Diesmal will ich Gewissheit haben und sogar die Schwestern sind auf meiner Seite. J. verlässt mich leider, aber ich freu mich für Sie. Die Stationskoordinatorin erlaubt sich mir gegenüber einen frechen Kommentar – Mund halten wäre besser gewesen. Ich will nicht schon wieder zurückkommen müssen. Mein Bauch fühlt sich am Abend nicht gut an, ich gehe mit gemischten Gefühlen ins Bett – obwohl ich viel getrunken habe und mich bewegt habe. Neben mir liegt schon eine andere Frau, aber morgen geht sie wieder.
SECHSZEHN
Morgens bin ich immer noch nicht überzeugt. Die Visite, ein mir bekannter Arzt, stuft mich gleich als Bleibekandidat ein. Ich mach mich frisch, esse etwas, trinke etwas, ruhe mich aus. Mein B. kommt und wir laufen gemeinsam und reden, als wäre alles normal. Er ist mein Fels in der Brandung. Beim Mittag mache ich langsam, esse nur noch kleine Portionen, um dem Darm eine Chance zu geben. Die Wage zeigt jeden Tag beträchtlich weniger an, mir fehlt Kraft. Bauch und Rücken tun weh, aber ich merke, dass sich was tut. Meine Thrombose-Spritzen gebe ich mir inzwischen selbst.
SIEBZEHN
Die Schmerzen sind weniger heute Morgen. Ich darf mir meine Mittelchen selber einteilen, inzwischen kommen meine anderen Medikamente auch richtig. Die letzten Tage haben mich gelehrt, darauf zu schauen, was ich bekomme. Die Schwester schaut morgens nur rein und fragt, ob ich bleibe. Ja. Entweder ich laufe oder ich schlafe, mein Zimmer ist leer. Es ist kurz vor Ostern. Im Gang singt man, ein schöner Moment, der mich an die Lust des Glaubens erinnert. Pfleger B. ist mein Nachtpfleger, man kennt sich. Es gibt mir wieder eine Tablette und wir sagen Tschüss, denn morgen ist mein Tag.
ACHTZEHN
Ich wache auf und habe ein gutes Gefühl. Ein bisschen was hat Ru über Nacht gemacht, ich habe fast keine Schmerzen, der Bauch ist nicht gebläht. Der Tag des Versuches ist gekommen. Mein B. holt mich um 10 Uhr, erst am Abend arbeitet Ru. Endlich geschafft!
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