„Du wirst ja nie wieder frei sein im Kopf“…

… und warum es einen Unterschied macht, ob man sich über seine Krankheit definiert oder stattdessen lernt, sich mit seiner Krankheit zu identifizieren. Im ersten Moment mag das einen üblen Beigeschmack haben, als würde ich nur an die Krankheit denken oder ihr zu viel Aufmerksamkeit schenken. Genau wegen diesem ersten Eindruck möchte ich mich gedanklich nun ein bisschen austoben. Ich habe zehn Jahre hinter mir gelassen und schrecke nicht davor zurück, zu sagen, dass ich krank bin oder gar, dass ich behindert bin. Es entspricht doch der Wahrheit. Es zu leugnen wäre fatal. Der springende Punkt dabei ist, dass es nicht die ganze Wahrheit ist. Meine ganze Wahrheit beinhaltet sehr viel mehr.

Sich über die Krankheit zu definieren bedeutet, ausschließlich diesen Zustand als Grund für alle Handlungen zu kennen. Es heißt, dass man sich nur mit dieser Krankheit beschäftigt und diese zum Hauptwesenszug einer Person wird. Die Krankheit würde das eigene Selbstverständnis stets bestimmen, es wäre der einzige Antrieb und alles, was den Menschen ausmacht. Weil man sich nur über das Kranksein erklären könnte, ist man durch die Krankheit gefangen. Richtig schlecht also. Viel besser und ein Stückchen Freiheit bedeutend ist es, wenn man sich mit der Krankheit zu identifizieren lernt. Nicht, weil man es total geil findet, krank zu sein. Sondern, weil man akzeptiert, was ist. Das Gefühl von Echtheit an einer Sache wird mit Identifikation geschaffen. Es geht darum, dass man sich einfühlen kann und sich hinter die Krankheit stellt. Die zugrundeliegende Überlegung ist, Übereinstimmungen zu finden bzw. Ansätze zu sehen, die Lage zu optimieren. Identifikation heißt, die Krankheit zu seiner eigenen Sache zu machen, um nach vorne zu sehen.

Diese unterschiedlichen Denkansätze sind lebensentscheidend und das ist noch nicht mal übertrieben. Es entscheidet, was für ein Leben man führen darf. Ich sehe mir meine Selfies an und sehe mich, nicht den Crohn. Nicht, dass er mich und mein Leben nicht beeinflusst hätte. Natürlich hat er das maßgeblich. Natürlich habe ich düstere und schwere Zeiten; Zeiten, in denen ich hoffte, es hätte mich nicht getroffen. Das gehört dazu – das kennt jeder, der eine solche Situation erlebt hat. Trotz dieser Zeiten und all der Probleme, die entstehen, definiere ich mich nicht über das Kranksein. Ich empfinde den Crohn nicht als einzigen Grund für mein Handeln und es ist auch nicht mein einziger Antrieb. Ich denke sehr wohl an andere Dinge, habe sehr viele anderen Impulse, die mich bestimmen. Wäre das nicht so, wäre ich wahrlich zu bemitleiden. Ich hätte bereits vor dem Tod aufgehört zu leben, ich hätte aufgegeben. Mit dieser Niederlage könnte ich nicht leben. Ich habe so viel Motivation, so viele Antriebe neben der Krankheit, um aktiv zu sein sowie viele Ziele und Lebensfreude. Ich trage einen Funken in mir, auf den ich stolz bin!  Ich definiere mich über meine Erfolge und Taten sowie Menschen, mit denen ich mich umgeben darf. Es gibt viele Themen, die für mich wichtig sind. Das man sich über das Kranksein definiert wird gerne von anderen als Vorwurf benutzt – dann heißt es, dass man sich zu sehr in die Krankheit reinsteigert. Oder aber es heißt, dass man sich auf der Diagnose ausruht. Das habe ich alles schon gehört und es kommt von Leuten, die unwissend sind. Der Crohn ist nicht mein Hauptwesenszug und hat nicht mein komplettes Selbstverständnis manipuliert. Ich bin so viel mehr. Ich bin Freundin, Tochter, Ehefrau, Reisende, … und ich habe viele andere Wesenszüge, die ich auch schon hatte, bevor ich krank wurde. Ich bin nicht die Krankheit. Die Krankheit ist nur ein Teil von mir, aus diesem Grund heißt mein Blog das Lila Element. Mein Element.

Mein Element, das wirklich existiert und sich nicht nur echt anfühlt, sondern es auch tatsächlich ist. Es ist genauso echt wie der Rest von mir. Ja, ich bin zwar krank, aber ich mache das Beste daraus und das kann ich nur schaffen, wenn ich ehrlich mit mir bin und das bin ich. Nach zehn Jahren kann ich sagen, dass ich gelernt habe, mit mir umzugehen. Ich fühle mich in mich selbst ein – in mich, in meine Bedürfnisse, in meine Grenzen und in den Fakt, dass ich eben nicht alles kann oder gar will. Aber ich stehe hinter mir, weil ich mich kenne und mit mir leben muss, soll und will. Damit trage ich alle Konsequenzen und mir ist bewusst, was das heißt. Also stelle ich mich hinter mich und den Crohn. Ich habe eine riesige Verantwortung, nämlich mich und meine Gesundheit. Ohne diese kann ich sonst nichts bewerkstelligen, auch das wird gern vergessen. Nicht von mir. In den Jahren lernte ich auch ein bisschen zu verstehen, warum ich eine Krankheit habe, die gerne mal mit der Psyche zusammenhängt. Und nein: Ich bin nicht schuld an meiner Krankheit und nein, ich habe sie mir nicht wissentlich aufgebürdet und herbeigewünscht. Aber ich verstehe, wie sie und ich zusammen funktionieren oder auch nicht. Nicht immer natürlich, aber immer besser. Somit mache ich die Krankheit zu meiner eigenen Sache, weil sie es ist. Nur so ist eine gemeinsame Zukunft möglich, in der ich ein Mitspracherecht habe. Ich setze mich mit meinem eigenen Weg auseinander – versuche zu verändern, was ich ändern kann und kämpfe um kleine Erfolge, die wirklich möglich sind. Ich identifiziere mich mit diesem kranken Teil von mir, den ich nicht immer mag, aber akzeptiere. Das mache ich, um mit der Krankheit umzugehen und mich zu lieben, wie ich bin. Denn ich glaube, dass mir diese besondere Situation die Möglichkeit gibt, mich als Mensch zu bessern. Ich kann das Leben mehr genießen, weil ich inzwischen eine Lebensfreude entwickelt habe, die ansteckend sein kann. Ich spüre Energie in mir, die ich niemals wieder missen möchte. Was für ein Mensch wäre ich ohne Crohn – ein Mensch mit weniger Begeisterung für das Leben und kleineren Träumen, an denen ich stets arbeite. Jeden Tag. Das schaffe ich nur, weil ich mich mit meiner Krankheit identifiziere und mit dem mir ausgeteilten Kartendeck das beste Spiel kreiere. Wer Kartenspiele kennt, weiß, dass diese beste Spiel auch nicht immer heißt, dass man gewinnt. Manchmal muss man auch wohlweislich zurückstecken. Manchmal muss man auch ein bisschen pokern. Man verliert auch mal ein Blatt, deswegen ist nicht das ganze Spiel dahin. Ich persönlich finde dieses Sinnbild der Karten wunderbar, um das Leben zu beschreiben 🙂

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