Hallo Dunkelheit, so sieht man sich wieder

Schon eine Weile habe ich eigentlich den nächsten Eintrag fertig. Einen Eintrag, der den positiven Seiten des Lebens gewidmet ist, auch wenn das Leben eben nicht einfach ist. Wie positives Denken, aktiver Einfluss auf die eigene Wahrnehmung und tatsächliches Handeln sowie eine kräftige Brise Hoffnung alles besser machen. Die letzten neun Jahre haben mir bewiesen, dass es einen Unterschied macht – gibst du dich als Opfer deinem Leben hin oder gestaltest du proaktiv die bestmögliche Version!? Ich befürworte definitiv die aktive Gestaltung! Der Eintrag ist fast fertig, aber er passt nicht, nicht jetzt. Ich weiß, dass an meiner Diagnose nichts zu ändern ist und das ist okay. Und ich weiß ebenso, dass ich trotzdem ein wundervolles Leben habe, welches gefüllt ist von guten Zeiten, Glücksgefühlen und unvergesslichen Momenten. Aber wo Licht ist, ist auch Schatten. Ein uralter Spruch, aber dunkle Zeiten gehören zum Leben dazu. Dadurch steigt die Wertschätzung von allem, was man hat und erlebt, denn man lebt anders – bewusster, wohl gemerkt. Gute Zeiten sind wie volle Luftpolsterfolie für ungemütliche Zeiten und Hoffnungsträger, wenn es mal wieder dunkel wird. Ich hatte viele dieser guten Zeiten, aber auch viele dunkle Momente. Momente, Stunden, Tage, Wochen… diesmal hält es schon lange an. Gerade in diesem Moment befinde ich mich in einem dieser dunklen Löcher, aus denen das Entrinnen so schwer fällt. Die Kontrolle darüber ist mir etwas abhanden gekommen. Hier ist also mein neuer und passendere Eintrag, gewidmet meinem persönlichen Gefängnis.

Jeder lebt im Gefängnis seiner eigenen Gedanken. Was für ein beschissener Satz. Am liebsten würde ich das neunmalklug abtun und stattdessen irgendeinen ach so wertvollen Motivationsspruch aus dem Internet zitieren. So tun, als wäre es nichts, womit ich kämpfe. Dieser Satz ist unangenehm und schwarz, aber wenn man wirklich ehrlich mit sich ist und ich es auch mit mir bin, entspricht er der Wahrheit. Ich sitze gerade mal wieder ein und es ist wahnsinnig dunkel hier. Monsters are real and ghosts are real too. They live inside us and sometimes they win. Gefangen in einem dunklen Loch mit den Gespenstern meiner Gedanken und den Monstern, die mich quälen. Ich kenne mich aus mit dem gefangen sein, ziemlich gut sogar. Mit den Jahren merkt man schnell, wie Sorgen, zu viele Überlegungen und Meinungen oder schlichtweg Angst lähmen. Abstellen, das geht nicht so einfach, wie man sich das vorstellt. Ich bin gefangen in einem Körper, wie ich ihn mir nie gewünscht habe. Mein Körper ist schwächer als mein Geist und ich verfluche ihn für seine Fehler. Es fällt mir oft schwer, meinen Körper zu mögen, ihn wertzuschätzen… egal, welchen Teil davon. Selbstliebe ist etwas, was ich oft vergesse, geschweige denn, dass ich gut darin bin, Komplimente von anderen wirklich zu verstehen oder anzunehmen. Wenn man sich selbst nicht so gern hat, wie versteht man dann, dass es jemand anderes tut? Man beginnt, sich selbst zu hassen. Nicht nur seinen Körper, auch sein seelisches Dasein. Man hasst sich für das Leiden, für die zeitweilige Resignation und für jeden schlechten Gedanken. Einfach dafür, dass der Körper nicht so funktioniert, wie er soll. Es ist ein Teufelskreis. Ich habe mich, seitdem ich Crohner bin, oft vor mir selbst geekelt, was nun viel besser ist mit Ru. Ein Krankheitsbild, das sich um Scheiße dreht, ist nicht sonderlich schön, denn die Scheiße ist buchstäblich immer präsent. Man redet darüber, man denkt daran und nun ja, man sieht es oft genug. Es ist zum verrückt werden. Wenn man, so wie ich, jahrelang mit einer Art Inkontinenz lebt, bleibt diese Abscheu vor sich selbst nicht aus. Ich fühlte mich dreckig, weniger wert, kaputt und abartig. Dank des Stomas kommt das Ekelgefühl viel weniger vor und darüber bin ich froh. Oftmals bin ich müde, aber was bringt mir der Schlaf, wenn nicht nur der Körper, sondern auch die Seele müde ist. Ermüdet von den Quälgeistern, dem Gedankenkaroussel und diesem Kampf, zu funktionieren. Aufwachen ist schon für normale Morgenmuffel blöd; ich liege da und wünschte, ich könnte ewig schlafen. Im Schlaf denke ich nicht nach, ich bin nicht böse zu mir selbst und der Körper fährt seine Aktivitäten runter, so passiert mir nichts. Doch dann kommt das Gefühl, morgens ebenso gerädert aufzuwachen wie man abends eingeschlafen ist – nicht gerade motivierend, wenn ein ganzer weiterer Tag vor mir liegt. Vielleicht hört aber im Schlaf auch einfach ein paar Stunden das Gefühl auf, heulen zu wollen. Aus dem Nichts heraus fange ich an zu weinen, Tageszeit und Ort sind egal. Es bricht aus mir raus, aufgestaut. Dabei bin ich natürlich nie in Gesellschaft, ist ja auch blöde, ich müsste mich ja erklären. Die genauen Gründe für die Ausbrüche sind so vielfältig, dass es wohl schiere Überforderung ist, die das Weinen auslöst. In gutem Zustand liebe ich die Organisation von allem, ich koordiniere unterschiedlichste Dinge gekonnt – doch hier, in meinem kleinen Gefängnis, stellen mich einfachste Dinge vor eine fast unlösbare Aufgabe. Es ist gelegentlich auch der Schlaf, der mir die Tränen in die Augen treibt. Schweißgebadet wache ich dann auf, nur um mich zu fragen, ob nun Traum oder Realität quälender ist. So gut das auch sein mag, man alles rauszulassen und zu heulen wie ein Baby – im Dauermodus hält man das nicht aus. Von Gefühlen überfordert zu werden ist das eine, sich leer zu fühlen, antriebslos zu sein, das andere. Es gibt so viele Dinge, die ich vorhabe, die ich noch sehen und erfahren will, ich will doch einfach nur leben. Mein Leben leben, glücklich sein. Doch dann gibt es Zeiten, da ist mein Kopf blank. Ich könnte so vieles anfangen und anpacken, aber die Lustlosigkeit reist das Steuer an sich. Schaffe ich das, so wie ich bin, überhaupt? Kann ich das, so wie ich gerade bin? Ich zweifle ständig an mir und kritisiere oft – wahrscheinlich würde ich dies auch ohne Crohn irgendwie. Ich denke jedoch, dass ich nicht mit scharfer Munition auf mich losgehen würde, wie ich es in Wirklichkeit jetzt tue. Ich bezweifle mich, was ich denke oder was ich kann. Ich sehe alles aus dem Blickwinkel eines Menschen, der körperliche Grenzen hat. Das Vertrauen in mich selbst ist nicht selten klein, meine Erwartungen an Situationen in meinem Alltag sind klein, so kann ich mich und andere nicht so sehr enttäuschen. Was habe ich denn schon zu bieten, frage ich mich. Ich beschuldige mich selbst für das Ergebnis von Dingen, für die ich nicht mal was kann und viel zu sehr für Dingen, bei denen ich zwar Schuld trage, aber für die ich mich nicht wirklich so quälen müsste. Immer mehr bin ich mir sicher, dass ich die Schmerzen verdiene. An vielen Tagen drückt mir der Schuh, mal hier und mal da, andauernd wird man mit Schmerz konfrontiert. Schmerz gehört zu meinem Leben dazu. Jeder Schmerz scheint gerechtfertigt – vielleicht war ich kein guter Mensch und habe die Strafe verdient. Deswegen nimmt man das Leid eher hin, denn an so einem Leid muss man schuld sein. Sehr oft habe ich einfach nur Angst, nicht nur oft – täglich. Angst, dass mein Körper schwächelt, Schübe auftreten oder dass ich einfach nicht mehr kann. Ich liebe es, die Zukunft zu gestalten, zu verreisen – mit der Angst im Nacken will ich es manchmal gar nicht mehr, denn es kann so viel passieren. Es könnte wieder eine Operation notwendig werden, mit der ich nicht rechne… das würde mich Monate zurückwerfen. Angst, ich könnte es nie schaffen, einem gesunden Kind Leben zu schenken. Angst, dass ich nicht alles, was ich mir vorgenommen habe, schaffen kann, weil mein Körper versagt. Angst, ich könnte meinem Leben nicht genug Lebenswertes geben. Zukunftsängste lähmen jede Zelle meines Körpers. Wenn ich da in meinem dunklen Loch sitze, dann frage ich mich, ob ich je wieder frei sein kann und dadurch Glück erfahren kann. Wieder spontaner zu werden, sich freier zu bewegen und im Kopf freier zu sein. Manchmal frage ich mich auch, warum mich Gott so bestraft oder mir kein leichteres Leben gegeben hat – aber er wird Gründe haben, die sich mir nicht erschließen. Selbst gute Zeiten lassen sich nicht mehr so genießen, oftmals schwebt diese dunkle Wolke über Allem. Gute Zeiten scheinen unverdient oder zumindest fühlen sie sich unecht an. Sie ziehen an einem vorbei, ohne dass man sie wirklich in vollem Umfang genießen kann. Es gibt viele Tage, an denen ich nach außen hin präsentiere, was Menschen gerne sehen wollen, nämlich, dass es mir gut geht. Es ist einfacher, als all das hier zu erklären und mein Gegenüber in den Zugzwang zu rücken, zu  reagieren. Wer will schon einem anderen zur Last fallen, die Person in die Lage bringen, reagieren zu müssen, wenn man selbst nicht mehr weiß, was man tun soll. Ich erwarte auch nicht, dass jemand meinen kleinen Kampf für mich austrägt, denn dies ist mein Leben, für das es sich zu kämpfen lohnt. Es lohnt sich, dass ich mich immer wieder aus dem Gefängnis befreie. All diese Zeilen sind echt, es sind meine Gefühle. Sie spiegeln mein Gefängnis wieder. Aber wie vielen in meiner Umgebung das klar ist, ist mir wiederum nicht klar. Relativ einfach zu begründen, denn ich jammere nicht. Ich suhle mich nicht öffentlich in Selbstmitleid und brauche kein Mitleid. Die Opferrolle ist eine Position, mit der ich mich wenig identifiziere, also vermeide ich, dass das überhaupt in den Köpfen aufkommt. Ich bin stark, versuche ich mir zu sagen. Aber wie einfach wäre es, sich in eine Ecke zu setzen und den Kampf abzublasen? Einfach ja, aber nicht lebenswert.

Dieser Gedankenstrudel, der im Detail wohl viele Seiten füllen könnte, führt in noch erdrückender Dunkelheit und noch tiefere Löcher, die das Entrinnen dann wirklich unmöglich machen. Ja, bei Krankheit wird die Psyche über kurz oder lang in Mitleidenschaft gezogen, immer wieder und auch längere Zeit. Irgendwo muss man dann den letzten Optimismus zusammenkratzen, den Kampfgeist kräftig aufpolieren, sich selbst irgendwie austricksen oder sich letzten Endes Hilfe holen. Man braucht Antrieb, ja bombastischen Antrieb,  Herzenswünsche und einen starken Willen. Wichtig ist im Grunde nur eine Sache: Aufgeben ist keine Option, nicht mal annähernd eine Alternative zum Leben. Das Leben geht immer weiter und so muss ich es auch. Scheitern mit inbegriffen, nehme ich jeden Tag in Angriff und versuche mein Bestmöglichstes. Mal klappt es, mal nicht – ich weiß es, denn ich war schon an diesem Punkt. Mehrfach. Es ist ein lebenslanger Prozess, denn ich werde nie aufhören, an mir zu arbeiten. Ob mit Ruhe, Ablenkung oder aber mit Zeit; alleine, mit Freunden, Familie oder Außenstehenden – es wird Wege geben. Ich werde Wege finden, den Geist wieder auf die richtige Bahn zu lenken, aber auf welchen Wegen, das werde ich noch sehen. Bisher konnte ich mich aus jedem Gefängnis wieder befreien und darauf bin ich stolz. Und genauso wird es auch diesmal sein, denn es gibt keine Alternative. Nicht für mich. Ich will einfach nur leben und ich werde auch dieses, etwas schwierige, Leben rocken. Das Motto der Kampfansage lautet also wie folgt: Do not pray for an easy life – pray for the strength to endure a difficult one!

Update: Wir sind Schwankungen unterlegen. Es sind wie Wellen, mit denen man auf und ab geht. Auf die man sich vorbereiten kann, weil man sie von der Ferne kommen sieht. Von denen man völlig überrollt wird, von hinten und total ohne Vorwarnung. Mit Selbstliebe (klickt gern rein) und dem Willen (klickt auch hier gerne rein), sich nicht einsperren zu lassen, lassen sich alle Wellen irgendwie überstehen! 

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