HERZENSPROJEKT: INKONTINENT SEIN – WAS HEISST DAS?

Warnung: Ja ich rede von meinem Arsch, Stuhl und unangenehmen Sachen. Und nein, kürzer ging das hier wirklich nicht!

Nach meinem letzten Post kamen zwei meiner ältesten Freunde auf mich zu. Das Ausmaß des Leidensdrucks und der Einfluss der Inkontinenz auf mein Leben war selbst für sie zu abstrakt, zu geheim, zu weit weg. Wer mich kennt weiß, ich muss nicht ständig darüber reden. Es bringt mir nichts. Tatsache ist, dass ich bisher glücklicherweise wegen meinem Crohn, meinem Stoma oder meiner Inkontinenz von hasserfüllten Anfeindungen verschont geblieben bin – obwohl ich hier sehr offen darüber spreche. Meine Inkontinenz und deren Folgen habe ich bisher aber wenig thematisiert, denn auch für mich ist das kein einfaches Thema. Das Leiden, die Beschwerden und die Auswirkungen verblieben meist im Verborgenen, bei mir selbst. Es hat mich allein geprägt, mich verändert, mich beeinflusst. Sehr viel mehr, als ich mir bis letztes Jahr eingestehen wollte. Nun tue ich es. Nichtsdestotrotz bin ich mir sehr wohl bewusst, dass es letztlich auch mein Umfeld beeinflusst haben muss. Dieser Artikel heute schildert jedoch meine Sicht, was ich persönlich empfunden haben und was es mit mir gemacht hat. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ich weiß, dass andere extremere Leiden ertragen und meine letzten dreizehn Jahre sind deswegen nur ein kleiner Einblick. Aber ein kleiner Einblick in ein Tabuthema, über das nicht geredet wird, ist besser als nichts. Was heißt es also für mich, inkontinent zu sein?

In meinem Erstschub 2008 war ich etwa sechs Monate komplett unbehandelt. Die Entzündungen haben überall in meinem Verdauungstrakt gewütet, besonders jedoch in meinem Enddarm. Vom Enddarm hat sich eine retrovaginale Fistel gebildet. Das ist ein Gang vom Darm Richtung Scheide. Ich kann mich sehr glücklich schätzen, dass sie noch nie offen war. Wenn ich im Schub bin, kann ich sie von außen schmerzhaft spüren, denn sie verläuft inzwischen unter der Haut neben meiner Scheide entlang. Nicht sehr beruhigend. Die meiste Zeit ist sie jedoch inaktiv gewesen und schrumpft dann, ist nicht spürbar. Ich hatte damals einen großen Riss im Enddarm, der inzwischen vernarbt verheilt ist und dadurch immer noch Probleme macht. Denn vernarbtes Geweben funktioniert nicht wie das ehemals gesunde Gewebe. Mir riss der Schließmuskel an und über die Jahre wurde auch das immer schlimmer. Kein runder funktionierender Schließmuskel ist da inzwischen zu sehen, sondern – ich zitiere meine Arztbriefe – ein klaffender Anus. Toll. Mir wurde schon weghängende Schleimhautschlingen wegoperiert und versuchsweise auch eine Reparatur des Schließmuskels begonnen. Abgesehen von den normalen Schmerzen, die man mit Morbus Crohn hat wie z.B. die gut bekannten Bauchkrämpfe aller Art, habe ich allein am Arsch seit dreizehn Jahren Schmerzen, mal mehr und mal weniger versteht sich. Schmerzen, das ist etwas, was andere Leute greifen können. Gesunde Menschen merken „Ach, ich könnte mal auf’s Klo“ … ich bekam Schmerzen. Schmerzen, weil Stuhl sich im Enddarm befand oder Schmerzen, dass ich auf’s Klo musste. Schmerzen, dass ich sofort gehen muss, weil der Versuch, es zu halten, noch mehr Schmerzen verursachte. Dann war der Gang zum Klo selbst eine Qual. Ich kann nicht zählen, wie oft ich heulend auf dem Klo gesessen bin. Als ich alleine wohnte auch laut schluchzend, ansonsten gedrückt in mich hinein. Man will ja niemandem Sorgen oder gar Angst machen. Man macht sich kein Bild, glaube ich. Die Erinnerung daran ist für mich wirklich ein Horror. Ich musste also auf’s Klo, aber durch die Verletzungen in meinem Enddarm war der tatsächliche Vorgang des auf’s-Klo-gehen gar nicht so einfach möglich. Ich musste sehr viel mehr Zeit aufwenden, denn Drücken gestaltete sich entweder schmerzhaft oder wirkungslos. Auch die Reinigung war langwierig, denn dadurch, dass mein Schließmuskel nicht mehr richtig zu machte, war es eine nicht enden wollende Prozedur. Mein Crohn mag ja einigermaßen im Griff gewesen sein die Jahre, aber die Inkontinenz war eine schreckliche Hölle für mich.

2015 entschied ich mich für ein Stoma auf Zeit, 2016 für ein Stoma auf Lebenszeit. Ich wollte nie wieder normal auf’s Klo gehen müssen, ich konnte die tägliche Qual nicht mehr ertragen. Ich wollte dicht und auch schmerzfreier sein. Aber ich bin immer noch nicht richtig dicht und ich bin immer noch nicht so befreit von Schmerz, wie ich es mir wünsche. Ich dachte, dass all das irgendwie ein Ende hätte mit einem endständigen Stoma und der Nichtbenutzung des Enddarms. Aber mir dämmerte bald, dass ich damit falsch lag. Mein stillgelegter Darm hat inzwischen eine Diversionskolitis – das ist der Name für die Entzündung, die entsteht, wenn der Darm „leer läuft“. Einfach erklärt: er arbeitet ohne Inhalt weiter und das macht ihn krank. Zwar gehe ich nicht mehr richtig auf’s Klo, der Darm jedoch produziert weiter seine Bakterien und nicht unbedingt wohlriechenden Schleim. Wenn ich schon Stuhl nicht halten konnte, wie sieht das wohl mit Schleim aus? Richtig beschissen. Deswegen trage ich konstant Kompressen zwischen den Arschbacken, um aufzufangen, was mein Körper nicht gewillt ist, drinnen zu halten. Es ist ein konstanter „Fluss“, mal mehr, mal weniger, mal viel. Mal ohne Blut, mal auch mit. Ohne Kompresse geht gar nichts. Vlies-Kompressen wohl gemerkt, die sich nicht auflösen oder kleben bleiben. Das sag ich nicht ohne Grund, denn sollte ich die nicht zur Hand haben, ist das eher kontraproduktiv. Klopapier, Küchenrolle und Taschentücher sind schreckliche Alternativen. Sie reißen auseinander, wenn sie feucht werden, kleben an der empfindlichen Haut und reizen diese. Dann juckt es auch noch. Durch den Schleim ist die Haut eh gereizt, suppt manchmal auch vor sich hin. Definitiv nicht angenehm, auf Dauer absolut kein Zustand. Für keinen ersichtlich ist auch, dass jeder Gang zum Klo – nur um Pipi zu machen – aktuell zeitlich und vom Klopapierverbrauch etwa 2/3 auf meinen Arsch anzurechnen ist. Das weiß nur ich. Tag ein, Tag aus. Natürlich habe ich jetzt nicht mehr das Ausmaß an Schmerzen wie vor dem Stoma, Gott sei Dank. Aber leider habe ich immer noch fast täglich einen Druck auf dem Enddarm und regelmäßig Schmerzen, aber die sind schwer zu beschreiben. Es tut einfach weh und manchmal will ich mir diesen Teil meines Körpers am Liebsten selbst rausreißen.

Die Inkontinenz begleitete mich im Stillen auf vielerlei Arten, gerne getarnt als etwas anderes. Hier mal nur ein paar Beispiele. Ich habe kein gutes Verhältnis zu meinem Körper. Es ist verdammt schwer, mich zu lieben, wenn ich meinen Körper mit Schmerz und Scham verbinde. Der Weg zur Selbstliebe ist herzlich steinig. Als ich jung war, hatte ich kein Problem mit dem Sommer, mit Hitze und dem Schwitzen. Jeder der mich jetzt kennt, weiß, dass ich es verabscheue. Wenn ich mich eh schon ekele vor mir, weil mir mit einen kaputten Schließmuskel konstant Stuhl abgeht – dann ist es der pure Horror, wenn sich durch Hitze Gerüche bilden oder sich durch Schweiß alles noch mehr verteilt. So ziemlich jeder weiß auch, dass ich ständig auf’s Klo gehe – daheim und auch besonders wenn wir unterwegs sind. Der Grund ist traurig, denn eigentlich will ich mich immer nur zwischendurch sauber machen. Früher habe ich gern Tangas getragen, darin fühlte ich mich wohl. Ich besitze nun keinen Einzigen mehr, denn auf die Reibung kann ich getrost verzichten. Das sind nur Beispiele, letztlich begleitet mich die Inkontinenz in allem, was ich mache und wie ich es mache.

Als ich diesen Blog anfing zu schreiben, veröffentlichte ich am Anfang relativ schnell einen Artikel, der auf meinen seelischen Zustand schließen ließ. Ich wurde schlichtweg immer wieder depressiv und diesen alten Artikel würde ich jederzeit wieder hervorholen, um zu veranschaulichen, was der Crohn und besonders die Inkontinenz mit meiner Psyche gemacht hat. Sie hat mich unterdrückt, zerbrochen und gedemütigt. Sie hat mich klein gehalten, ich habe mich Einiges nicht getraut oder zugetraut. Mein Selbstwertgefühl, so laut und selbstbewusst ich nach außen wirken mag, sitzt sehr oft einfach nur in einer dunklen Ecke und heult erbärmlich. Manchmal denke ich, wäre ich ein anderer Mensch, mit einem funktionierenden Schließmuskel. Die Inkontinenz hat mich jeden Tag gedemütigt, denn ich fühlte mich dreckig und wertlos. Das lässt sich nicht erklären, das lässt sich nur fühlen und von anderen akzeptieren. Denn keiner steckt in meinen Schuhen, solche Gefühle entwickeln sich mit den Jahren. Wenn ich ehrlich bin, habe ich die dreizehn Jahre nicht gut weggesteckt. Ich bin nicht angekommen in meinem Körper, ich habe auch große Probleme, ihn zu mögen. Ehrlich zu mögen. Das schlägt sich auf’s eigene Wohlgefühl aus, aber auch auf das Wohlgefühl mit einem anderen Menschen. Sex war nie ein großes Thema, ich habe es oft als nichtig deklariert, als würde es mir nichts geben. Weil so ein Körper wie meiner damit nichts zu schaffen haben könnte, schließlich war ich ekelhaft. Somit habe ich nicht nur mit mir selbst in Bezug auf Akzeptanz und Wohlfühlen ziemlich viel verpasst, sondern auch in der Entdeckung meiner Sexualität, dem Ausprobieren von Sachen. Aber das nur am Rande, ist schon fast ein Luxusproblem.

Das Realisieren, was mir die Inkontinenz seelisch über die Jahre angetan hat, hat mir überraschender Weise gutgetan. Weil ich jetzt weiß, dass nicht ich komplett als Mensch oder Frau wertlos bin, sondern diese eine Sache alles überschattet und verzehrt. Das Realisieren hat mir eine Perspektive gegeben, mich zum einen nicht mehr damit zu verstecken und zum anderen, zu versuchen, meine Zukunft davon zu befreien. Mich zu befreien.

INKONTINENZ BETRIFFT NICHT NUR MICH; ES BETRIFFT UNS!
Schaut hier!!!

[PASSION PROJECT]
INCONTINENCE – WHAT’S IT LIKE? 

Warning:
You’ll now hear from my butt, poop and things that might make you feel uneasy. And no, I couldn’t have said it with less. 

After posting my last article, two of my eldest friends approached me. The extend of my suffering and the way my incontinence effected my life was too abstract, too hidden and simply too far off. Who knows me well knows I don’t need to talk about being sick all the time. It doesn’t help me. In fact, I can feel lucky that I have been spared from hateful comments – even though I write very openly about my Crohn’s, my ostomy and my incontinence. I haven’t talked about my incontinence much until this point because I was suffering silently. The pain, the troubles and consequences were hidden, subconsciously or actively by me. It has shaped me, changed me, affected me. More than I was willing to accept until last year. I now accept what happened to me. Nevertheless, I am sure my surroundings and my folk have been affected also. This article today will talk about my perception of it and what it did to me. Not more nor less. I am also well aware that others suffer more extreme pain. By providing an insight of my past thirteen years I hope to break the taboo at least a tiny bit. It’s better than to do nothing at all. So, what’s it like? 

When I got sick in 2008 really bad I was untreated for 6 months. The inflammations raged in my insides but especially in my rectum. A fistula formed from my rectum towards my vagina. That’s a tunnel from the colon to other parts of the body and I was very lucky that this fistula never opened up fully. In a flare I will be able to feel it painfully because nowadays that tunnel runs beside vagina and I can touch it from the outside. In remission, nothing can be felt. Back then I also had a huge fissure in my rectum which has somewhat healed but is scared. Scared tissue never does what the healthy tissue would have done so it’s painful. My sphincter ripped in 2008 as well and over the years simply worsened. Today it looks like – quoting my doctors – a gaping hole. Great! I had surgery removing outside mucous membrane loops and sphincter repair was started. Apart from the normal pains that Crohn’s gives you, my butt has hurt me the last thirteen years on pretty much daily basis. Pain is concept that people understand. Other things not so much. Healthy people realize they need to poop and simply go when possible – I was in pain. Pain that poop was in my rectum. Pain that I had to go and it was pushing downwards. Pain in holding it in. Pain acutally pooping. I cannot name the times I have been crying from all the pain sitting on the toilet. I simply cannot. Living alone I didn’t care about sobbing loudly but living with someone I quieted down. I had no strength to explain. Now, realizing what happened the last years, I think that a healthy person cannot understand. Only remembering it is a horror. So pooping itselt took my forever, in flares I would do nothing more than spending time on the toilet. Due to the fissure and the pain pooping was not easy and time consuming. Cleaning myself afterwards was the same, because my sphincter never really closed it seemed endless to get to a point that I would consider clean. I never felt clean. My Crohn’s was controlled over the years but my incontinence was a terrible hell. 

In 2015 I decided to get a temporary ostomy, in 2016 I got one for life. I never wanted to poop normally ever again in my whole life. I wasn’t capable of bearing this cross. I wanted to be clean, continent and free of the pain. But I still none of the above. Thinking that getting a stoma for life and not using my rectum would solve the problem, I soon had to understand it was not true. Today I have a diversion colitis, inflammation in my rectum because it is idle. Easy enough to explain: My rectum continues its work but there is no material which makes the rectum sick. I don’t poop through my butt but bacteria and malodorant mucus is produced. Now let us think again: I was not able to hold poop – what do you think will happen with mucus? For that reason, I am wearing compresses at all times between my butt cheeks to collect what my body cannot keep to itself. It is constant, but the extend and bloodiness varies. I do not live one day without compresses and I am talking about fleece compresses that do not dissolve or stick to the skin. After making the experience that everything else like toilet paper, kitchen roll or tissues of any kind are totally counterproductive. The rip when they get wet, stick to the sensible skin and irritate it additionally. By the constant mucus the area is irritated anyway. And that’s something no one sees. Only I do. Also, interesting: every time I go to the toilet to pee I use most of the time and toilet paper to clean my butt. Every day. The pain of course is less nowadays living with an ostomy. I still get a lot of pressure on my rectum and pain regularly so again and again I would simply like to rip this part from my body. 

The incontinence has been with me in silence for way too long and in way too many ways. It is with me constantly. Just a few examples: I do not have a great perception of my own body. It’s hard to love when it is constantly connected with pain and shame. When I was younger I like the summer, hear and sweating was not a problem. Everyone who knows me knows that I hate these things today. When I am disgusted by myself that I cannot hold in poop – what do you think will happen when heat produces smell and sweat smears that stuff everywhere? I also use the toilet very frequently, at home and being on the road. The reason for it is sad because most of the time I don’t need to pee, I just want to clean myself. When I was younger I lived to wear thongs. Today I do not own one single thong due to the rubbing I seriously don’t need in that area. 

Starting this blog four years ago I quickly released an article on my untreated depression. Because that’s what can happen with someone suffering and it is a great example for showing what happens in one’s head when living with Crohn’s and living with incontinence. She disabled me, broke me into pieces inside and humiliated me. She made me not believe in myself and my abilities, none of them. Even though I might appear quite loud and self-confident, my self-esteem often sits in a dark corner and cries like a baby. Every now and again I am very sure I would be different person with a functioning sphincter. The incontinence has humiliated me on daily basis and this is nothing I can explain in a way someone else feels it the same way. I have felt dirty and worthless, I still do again and again. Being honest with myself I can say that I was able to take the last thirteen years well. I am not happy with my body at all and I have great issues liking it. Truly like it. My sense of well-being is awful, with myself alone and with someone else. Sex has never been a great thing for me, I declared over and over that it didn’t mean anything to me anyway. How could a body like mine be made to enjoy itself when at the same time I felt disgusted? Sex and exploring my sexuality at all has been dismissed very much. This seems like a minor issue compared to the big issue though: I have missed out on so many things regarding self-acceptance and being-well. 

Realizing what my incontinence did to me over the years gave me some peace of mind. Because I realized that I am not worthless as a human being nor as a woman. The incontinence clouded my every move and deformed my perception. Realizing this gave me perspective, on the one hand that I do not have to hide and on the other hand that I will try to get rid of it. To be free

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