Montag vor einer Woche war ich krank, aber nicht krank genug für die Notaufnahme. Ich wurde nach Hause geschickt, um mir selbst ein MRT-Termin zu besorgen und in aller Ruhe wiederzukommen. Schließlich war der Befund seit Monaten lokal begrenzt und mein Blutbild unauffällig. Aber ich wusste, dass etwas wirklich nicht in Ordnung war. Ich wusste es. Die lähmende Angst, dass sich dieser Abszess ungehindert weiter in meinen Bauch frisst und dass ich damit alleingelassen werde, hatte mich in ein Tief rauschen lassen. Ich suchte mal wieder Hilfe und mal wieder wurde ich nicht ernst genommen. Dabei war ich doch keine Person, die um Nichts Wind machte. Ich musste heim und mit jeder Stunde rutschte ich weiter in mein Tief. Noch am gleichen Tag der erste Versuch, eine Überweisung samt MRT-Termin zu erhalten. Erst war der Arztbrief nicht genau genug, um welches MRT es sich handelt und meine Aussage allein reichte nicht. Mein Arzt im Urlaub. Und dann fand ich heraus, dass zur Vergabe des Termins definitiv eine Überweisung vorliegen muss. Bürokratischer Wahnsinn und mein Gemütszustand weiter auf dem Weg in den Keller.
Das hieß nicht, dass das Leben einfach anhielt. Kind, Haushalt, Alltag, Arbeit. Alles ging weiter. Am Dienstag verbrachte ich während der Arbeit geraume Zeit in Warteschleifen, um mir endlich einen Termin sichern zu können. Das Ergebnis: Termin in 6 Wochen, kein vorheriges Reinschieben in Lücken. Meine Intuition sprang hier bereits schon wild gestikulierend im Kreis. Nach der Arbeit sowie nach der Kita fuhr ich mit meiner Tochter zu meiner Stomaschwester und Freundin. Während die Kleine mit Spielen beschäftigt war, telefonierte ich umliegende Krankenhäuser und Radiologen ab. Eine Absage nach der nächsten, Termine im nächsten Jahr, neunmalkluge Ratschläge die man sich sparen hätte können. Nach zwei Stunden wollte ich nur noch einen Boxsack und in Ruhe gelassen werden. Ich hatte zumindest einen Termin ergattert, in 5 Wochen. Meine Angst, was in dieser Zeit alles den Bach runtergehen könnte, war so groß dass ich an dem Abend einfach nur durch war. Durch und demotiviert.
Am Mittwoch gönnte ich mir deswegen eine Pause vom Telefonieren. Ich versuchte, das schlechte Gefühl zu verdrängen. Die entzündete Stelle an meinem Bauch hatte sich nur wenig verschlimmert. Ich arbeitete, bekam Besuch von meiner Mutter, kümmerte mich um meine Tochter. Aber am Abend fing es an, spürbar schlechter zu werden. Ich konnte nicht mehr auf der Seite liegen ohne Schmerz und die Stelle neben Ru wurde viel druckempfindlicher. Am Donnerstag waren die allmorgendlichen Routinen schon schweren umzusetzen. Die Kontrolle der Wunde war schmerzhaft und Bewegungen, die den Bauch quetschten, versuchte ich wegen Schmerz wo nur möglich, zu vermeiden. Im Geschäft nahm ich erst mal Schmerztabletten, um über die paar Stunden zu kommen. Am Nachmittag saß ich länger als sonst mit der Kleinen vor der Flimmerkiste zu Peppa Wutz und nach dem Abendessen ging ich in die Badewanne und ins Bett. Dank der Hilfe von meinem Mann kein Problem, aber ich wusste nach meiner Kontrolle der Wunde, dass es rapide bergab ging. Ich wusste auch, dass ich so nicht über’s Wochenende kam.

Am Freitagmorgen brachte ich die Kleine in den Kindergarten und ging zur vereinbarten Blutabnahme zu meinem Gastroenterologen. Da er aber im Urlaub war, bat ich um ein Notfallgespräch mit seinem Kollegen. Ich brauchte etwas gegen die Schmerzen. Sie kontrollierten den CRP-Wert sofort, er war leicht erhöht. Er hörte sich eine Kurzfassung der Geschehnisse an und schaut sich das aktuellste Bild meiner Wunde an. Für ihn ein klarer Fall – ab ins Krankenhaus. Die Praxis überwies mich, kündigte mich telefonisch an und wünschte mir alles Liebe. Wie ein Häufchen Elend saß ich danach in meinem Auto und brach in Tränen aus. Jemand hatte mir geglaubt. Jemand hatte gesehen, was ich gesehen habe. Jemand half. Ich weinte vor Schmerz, vor Angst und vor schierer Erleichterung. Ich packte in 20 Minuten eine Tasche für 5 Tage, tankte und rief meinen Mann an. Ab jetzt musste er alles stehen und liegen lassen; er war nun bis auf Weiteres ganz für unsere Kleine zuständig. Mir tat es sehr weh, sie ohne Vorwarnung zurückzulassen. Einfach zu gehen und nicht zu wissen, was jetzt passierte. Das war und ist bis jetzt meine persönliche Horrorgeschichte 2021 – das Ungewisse. Nichts tun zu können. Zu warten und zu hoffen. Zuzusehen. Zu beten.




Um 10 Uhr kam ich in Ravensburg an und ging in die Notaufnahme, man merke, in eine fast ausgestorbene Notaufnahme. Der mich empfangende Arzt war am Montag hinter mir hergelaufen auf dem Weg zum Auto, wir hatten also peinlicher Weise gleich Gesprächsstoff. Denn meine Enttäuschung und Wut gab ich gerade dann am Telefon weiter an meine Stomaschwester. Auch der „Wiedersehen macht Freude“-Arzt war mit von der Partie, mit Freude hatte das alles aber nichts mehr zu tun. Unter Zittern und Schmerztränen wurde der akute Bereich begutachtet und jetzt natürlich für schlimm empfunden. Ein Bett war für mich bereits vorbereitet, aber es war trotzdem Freitag Mittag vor einem langen Wochenende. Ich erwartete nicht viel, was heute stattfindet sollte. Nach einer kleinen Wartezeit wurde ich samt Gepäck mit einem Rolli nach oben auf die Station transportiert, um mich dann in ein Bett fallen lassen zu können. Ein Zimmer neben dem Zimmer, dass ich nach meiner OP hatte. Ich war hier. Irgendwann kam ein Arzt und informierte mich, dass man unter Betäubung den Bereich reinigen müsste, vielleicht sogar erweitern etc. und Proben entnehmen. Das würde im OP gemacht unter Narkose (inzwischen weiß ich, es war eigentlich eine Kombination aus örtlicher Betäubung und Dämmerschlaf). Aber irgendwie war die interne Kommunikation etwas holprig an dem Tag. Auf den letzten Drücker wurde ich um 18 Uhr in den Aufwachraum geschoben, wo man mich aber nicht so recht auf dem Schirm hatte. Alles etwas wild und zugleich interessant, denn hier kann man normal nicht Mäuschen spielen. Wie es ist wenn jemand aus dem OP kommt, bis er bereit ist, auf die Station zurückzukehren. Irgendwann wurde ich aber doch gefunden und voll wach in den OP gerollt. Ein komisches und ehrlich gesagt unangenehmes Gefühl, denn den OP verschlafe ich ja sonst. Mehrere Leute wuselten um mich herum und ich wurde auf den Dämmerschlaf vorbereitet. Ich hatte noch keine Schmerzmittel bekommen, hatte also Schmerzen und wollte echt nicht angefasst werden. Mir wurde schlecht, ich begann unruhiger zu atmen und ich bekam Angst. Leider hab ich mich an diese Zustände schon gewöhnt, meistens bekommt es jemand mit und beruhigt einen. So geschah es auch hier, mir wurde gut zugesprochen, die Anästhesistin streichelte mir über den Kopf und die Wange. Dann kam der Arzt und während man mir das Medikament zum Schlafen verabreichte, fing er schon an, sich den zu behandelnden Bereich frei zu machen. Also die warme Decke weg, das OP Hemd zur Seite. Aber ich war noch voll anwesend und ängstlich vor jeder Berührung. Die Anästhesistin hinter mir hatte es im Blick und bremste ihn etwas aus, bis ich ein paar Sekunden später weg triftete. Der Rest von Abend ist tatsächlich etwas schwammig – ich kam zurück auf Station, meldete mich bei meinen Lieben und schlief mich über die Nacht aus.






Am Samstag war ich eigentlich lange Zeit ohne Ahnung. Ich hätte geschätzt, dass man den befallenen Bereich sogar entfernt hatte. Ein Drainage konnte ich sehen, der Rest lag unter der Platte. Da lag ich also. Meine Kleine daheim hatte inzwischen gefragt, wo Mama war. Mit „im Krankenhaus“ schien sie vorerst zufrieden. Vielleicht verstand sie es sogar ein bisschen, hatten wir nach der OP ja viel versucht zu erklären und mit dem Kinderbuch „Conny im Krankenhaus“ verständlich zu machen. Erst nach dem Mittag schaffte es der Arzt, persönlich nach mir zu schauen. Wochenende eben. Man hätte einen Verdacht, den man aber mit Gewebeproben bestätigen lassen müsste. Eher würde man die Wundfläche nicht absichtlich vergrößern, weil die Heilung durch die in Verdacht geratene Krankheit nicht normal stattfinden könnte. Wir müssten die Auswertung im Regelbetrieb bis Ende der nächsten Woche abwarten. Wenn der Verdacht nicht bestätigt würde, hätte man aktuell auch noch keinen Plan B. Mit meinem Stoma Ru war weiterhin alles in Ordnung, es hatte genau genommen gar nichts mit ihm zu tun. Dass die Wunde aber genau unter der Platte war, war schlichtweg Pech. So jedenfalls der aktuelle Stand. Den Rest des Nachmittags verbrachte ich damit, mir von Daheim mehr Klamotten und Dinge, die ich vergessen hatte, zu organisieren. Mit über einer Stunde Anfahrt nicht ganz so leicht – schlussendlich bringt meine Mutter es Anfang der Woche beim Besuch mit. Am Abend hatte ich Freunde in der Nähe organisiert, die mir mein Auto umparkten. Am Freitag hatte ich grad mal einen Platz im Parkverbot auf der Wiese ergattert und ich fürchtete das Abgeschlepptwerden oder Schaden durch Baustellenfahrzeuge, die an der Parkplatzerweiterung dran waren. Ich darf nicht raus und war nicht fit, also übergab ich den Schlüssel in der Eingangshalle und meine Giftschnecke wurde auf den Parkplatz gefahren. Klingt komisch, ist aber so. Seither sehe ich mein Auto auf dem Parkplatz und frage mich, wann ich wieder einsteigen kann.



Am Sonntag versuche ich einfach über den Tag zu kommen. Lieg herum und machte Bilder, ging zum Kiosk und kaufte eine Zeitschrift. Lag herum und schrieb mit Freunden sowie der Familie. Manchmal machte mich das Schmatzen meiner 91 Jahre alten Nachbarin wahnsinnig. Ihr Leiden und ihre Tränen sind für mich nicht leicht zu ertragen. Zum Mittag gab es zufällig meinen Lieblingsnachtisch. Danach ging es für mich leider unaufhaltsam nach unten, einem neuen Tiefpunkt entgegen. Ich konnte keinerlei Druck mehr auf der befallenen Stelle ertragen. Beim Versorgungswechsel, als ich wieder komplett freie Sicht auf die Wunde hatte, brach ich in Tränen aus. Der Anblick, wie es sich verschlechtert hatte, was das für mich bedeutet könnte, macht mir schlichtweg höllisch Angst. Das Bild, absichtlich von oben, verrät bis auf die Drainage nichts über meinen Zustand. Ein Bild von Vorne erspare ich euch derzeit. Die Wunde zu versorgen war für mich schwer, es tat höllisch weh und ich konnte vor Aufregung nicht klar denken. Ich zeigte es den Schwestern später auf einem Bild und erbat eine ärztliche Kontrolle. Die sollte ich am nächsten Tag erhalten, ich wartete erneut. Inzwischen war ich mir gar nicht mehr sicher, worauf ich wartete. Auf Lösungen? Auf Ideen? Auf Schmerzlinderung? Auf Erlösung?



Heute ist wieder Montag. Immer noch das lange Wochenende, an dem eben nichts passiert. Ich bin aufgewacht und sofort wieder in Tränen ausgebrochen. Ich mag nicht mehr. Meine Kleine wollte mit ihrer Mama telefonieren, als versuchte ich mich für ein paar Minuten zusammenzureißen. Sie fehlt mir so, getrennt zu sein ist die Hölle. In der Sekunde des Auflegens breche ich auf der Bettkante sitzend wieder in Tränen aus. Ein Videoanruf hätte ich nicht geschafft. Die meiste Zeit des Vormittags sitze ich auf der Bettkante und starre nach draußen, sehe zu, wie es regnet. Das Wetter passt zur Stimmung. Nach dem Mittagessen dann die Visite mit dem Arzt und einer Schwester, im kleinen Kreis also. Im Stehen, wie ich es gewohnt bin, durfte ich die Versorgung entfernen und der Arzt nahm sich einen Stuhl, setzte sich vor mich und betrachtete die Lage. Ich war ein bisschen beruhigt, als ich sah, dass keine Verschlechterung seit gestern stattgefunden hatte. Er versuchte mir gut zuzureden, dass es aktuell stabil wäre – auch wenn es schlimm sei, dieses nicht zuheilende Loch in meinem Bauch. Ich durfte mich selbst wieder versorgen und meiner Bitte, die Schmerzmittel nun doch deutlich zu erhöhen, wurde sofort statt gegeben. Ich solle sofort sagen, wenn es nicht reicht. Es würde jetzt so lang probiert, bis ich schmerzfrei über den Tag komme. Seit Samstag findet das schon in Tablettenform statt, also nicht über die Vene statt. Wäre unnötig. Nach einer Stunde die ersten Beweise, dass das mir bekannte Tilidin wirkt, am Abend schon empfinde ich das als große Erleichterung. Schmerz zermürbt den Geist und ich hoffe, dass ich mich nun etwas erholen kann. Nicht ständig jede Bewegung abzuwägen oder explizit Sachen zu vermeiden, um mögliche Berührungen zu umgehen. Ich bekam Besuch von einer Freundin und das tut mir gut. Meine Zimmernachbarin wurde zeitweise verlegt, weshalb ich heute den Luxus habe, das Zimmer für mich zu haben. Ich rief meinen Mann an – die Kleine bei Oma zum Kekse backen – um uns kurz zu updaten. In Ruhe. Schließlich geht das Leben draußen weiter. Ich hoffe, dass ich bald wieder Teil davon sein werde. Dass wir bald wissen, was los ist und dass wir angreifen können. Denn ich will mein Leben zurück.

Da das hier noch nicht das Ende vom Lied war, weiter geht’s hier
Ich drücke dir die Daumen das sie dir ganz schnell helfen können und bete das es dann das letzte Mal ist das du so leiden musst. Fühl dich unbekannter Weise einfach mal umarmt.
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Liebe Ina, danke für deinen Kommentar. Wirklich lieb von dir. Ich bin für jeden zusätzlichen Daumen dankbar!!
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