
Per Definition ist ein Tabu ein ungeschriebenes Gesetz innerhalb der Gesellschaft, welches einem gebietet, das entsprechende Thema in der Öffentlichkeit nicht zu thematisieren – auf keinem Kanal, auf keine Art, irgendwie. Ein Tabu wird oft nicht hinterfragt und ist unantastbar. Ist in der heutigen Zeit doch Toleranz und Offenheit so idealisiert, sind wir in Realität noch gerne verklemmt und intolerant. Dem Tabu gehört in der Öffentlichkeit minimal bis gar kein Platz und es wird aktiv gemieden. Ganz besonders unser eigener Körper scheint den Menschen eigen genug zu sein, sind doch viele körperliche Themen tabuisiert.
Danke an alle, die sich mit mir in der letzten Woche zum Thema „Tabu“ auseinandergesetzt haben. Ihr habt mir Klarheit geben, neue Gedanken angestoßen und meinen eigenen Standpunkt gestärkt. Also danke dafür.
Ich hab mal eine Liste von Tabu-Themen gemacht, die ich allein durch meine Krankheit jetzt sofort bedienen könnte:
Schwere Krankheit
Inkontinenz
Darmkrebs
Sexualität
Stuhlgang
Depression
Schwerbehinderung
Künstlicher Darmausgang
Als ich mich wegen diesem Beitrag ein bisschen im Internet rumgetrieben habe, stolperte ich über die Frage, wem ein Tabu Vorteile bringen würde. Natürlich denen, die das Tabu nicht selbst berührt. Das Tabu ermöglicht ihnen, sich nicht mit dem Thema auseinandersetzen zu müssen und unberührt einfach weiterzuleben. Und dann laß ich es: ein Tabu schützt den Betroffenen. So hatte ich noch nie darüber nachgedacht und als ich euch CEDler und Stomaträger fragte, wart ihr eher nicht dafür, dass uns Tabus schützen. Ich denke, dass nicht jedes Tabu dem anderen gleicht. Vielleicht gibt es Menschen, die mit ihren Themen geschützt werden. Ich denke jedoch, dass wir im Einzelnen und unsere ganze Community von der Tabuisierung der von mir oben bereits aufgelisteten Themen überhaupt nicht profitieren. Nicht nur das: Es uns sogar schadet. Die meisten von euch haben das mit euren Nachrichten an mich bestätigt. Ich hab im Folgenden meine Gedanken mit euren gemischt, weil wir tatsächlich so dermaßen einer Meinung sind. Es ist fast erschreckend. Lasst euch den folgenden Abschnitt mal auf der Zunge zergehen: Wie wirkt sich die Tabuisierung auf uns aus?
Diese Tabus schaden uns, weil wir uns dadurch schlechter, dreckiger und abnormal fühlen. Diese Tabus schaden, indem sie durch ein einziges Wort unserem Ruf schaden. Diese Tabus schaden uns, weil uns gegenüber weniger Verständnis entgegengebracht wird, ist ja schließlich was Unausgesprochenes. Diese Tabus schaden, indem sie uns als gestrafte Menschen markieren. Diese Tabus schaden uns, weil wir uns nur schwer erklären können. Diese Tabus schaden uns, weil das Tabuisieren das Schamgefühl komplett unrealistisch verschiebt und dieses bereits früh anerzogen wird. Diese Tabus schaden, indem sie uns unterdrücken und erdrücken. Diese Tabus schaden uns, weil sie diskriminieren. Diese Tabus schaden uns, weil wir nicht ohne Folgen unsere Bedürfnisse formulieren können. Diese Tabus schaden, indem das Outing die Angst vor einer Ausgrenzung real werden lässt. Diese Tabus schaden uns, weil sie uns zu Opfern macht, zu Aussätzigen, zum wunden Punkt der Gesellschaft. Diese Tabus schaden uns, weil wir glauben wollen, dass sie uns eigentlich nicht schaden. Diese Tabus schaden, indem uns der Wunsch nach ansprechender Aufklärung zu mitteilungsbedürftig und zu selbstsüchtig erscheinen lässt. Diese Tabus schaden, weil sie fälschlich Angst und Ekel schüren ohne zu berücksichtigen, wie es den Betroffenen wirklich geht. Diese Tabus schaden, indem die wenigen Momente in der Öffentlichkeit, die es gibt, uns zu schnell viel zu negativ darstellen. Diese Tabus schaden uns, weil man gleichzeitig denkt, dass wenn man nicht darüber redet, es ja so schlimm nicht sein kann. Diese Tabus schaden uns, weil nicht nur unsere Themen tabuisiert werden, sondern wir als Mensch. Diese Tabus schaden uns, weil wir durch sie psychisch isoliert sind und alleine mehr leiden. Diese Tabus schaden, weil ohne offene Kommunikation die Diagnose und richtige Behandlung gar nicht stattfinden kann. Diese Tabus schaden uns, weil wir manchmal selbst nicht wissen, wo wir dadurch stehen. Diese Tabus schaden uns, weil sie gemeinsam mit politischer Korrektheit unser Leben nicht realistisch darstellen. Diese Tabus schaden uns, weil Sie unser Leben schwerer machen als es eh schon ist.

Das sind alles Bambus-Strohhalme. Keiner wie der andere. Jeder ein Strohhalm. Alle in Ordnung. Wir sind alle Menschen mit Herz. Keiner wie der andere. Jeder ein Mensch. Alle in Ordnung. Damit das jeder versteht, begehen Menschen wie ich einen Tabubruch nach dem anderen. Aufklärung ist nämlich genau das, es schafft ein Bewusstsein für Menschen wie mich. Für unsere Community scheint das in den letzten Jahren eine Bewegung zu werden, die nicht mehr aufzuhalten ist. Das ist gut. Aber wir haben noch viel vor uns.
Für den Einzelnen kann ein Tabubruch schon die Rettung sein, der Hoffnungsschimmer in der Dunkelheit oder gar der Fels in der Brandung, wenn man unterzugehen droht.
DU findest dass es viele Vorurteile speziell zu Stoma-Trägern gibt? Ich und Nicole auch, bitte klickt euch durch die drei Beiträge mit insgesamt 21 Vorurteilen!!!